Ventil SOHO

„SOHO IN OTTAKRING stellt heute den Versuch dar, künstlerischen, sozialen, stadtplanerischen und wirtschaftlichen Themen und Zielsetzungen eine gemeinsame Plattform zu geben. Das sich überschneidende nachhaltige Anliegen dieser Kooperationen ist die Initiierung eines Stadtteilimpulses und damit eine behutsame Aufwertung der Lebensverhältnisse im Viertel.“

Zum 12. Mal wurde heuer das Stadtteilfestival SOHO in Ottakring organisiert, und diesmal breitete es sich mit einem neckischen „Get in touch – Grenzüberschreitungen nach Hernals“ gleich bis in den 17. Bezirk aus. Den bisher beinahe gentrifizierungsverschonten Hernalser_innen stellen sich die Genickhaare auf, selbst wenn es gleichzeitig auch schön ist, im Gasthaus Gruber antirassistisches Kino zu schauen und ein paar Häuser weiter den jüdischen Salon zu besuchen. Das Motto lautete heuer: „Ventil Rassismus – pfeif drauf, kick the habit.“ SOHO antirassistisch? Geht das?

Warum steigen die Mieten bloß so? Bloß so.
Ottakring ist ein Vorzeigebezirk für programmatische Gentrifizierung[1], in Wien gerne „sanfte Stadtaufwertung“ genannt. Sanft bezeichnet dabei das Tempo, mit dem Mieten steigen, öffentlicher Raum privatisiert wird und es zu einer Infrastrukturumnutzung von der Abdeckung grundlegender Bedürfnisse (essen und Essen kaufen, Kleidung kaufen, wohnen, sich treffen, spielen) hin zur Konstruktion und Abdeckung kultureller Überbaubedürfnisse (Kunst anschauen, kaufen und machen, Kleidung und Essen als handgemachte/siebbedruckte Einzelstücke kaufen) kommt. Das heißt konkret: Gab es früher in der Kalvarienberggasse einen Haufen Einzelhandelsgeschäfte und Reparaturwerkstätten, so reihen sich heute, nach einer kurzen Zeit des Leerstandes, Galerien und temporary art spaces aneinander. Damit will nicht gesagt sein, dass früher alles besser war – es geht viel mehr um die Sichtbarmachung von Stadtteilveränderungen anhand der Transformation von kulturellem in ökonomisches Kapital.

Eine bekannte Anekdote erzählt, dass zwei Jugendliche aus einem Londoner Arbeiter_innenbezirk dem Street-Art-Helden Banksy die Nachricht zukommen ließen, er möge bitte nicht mehr in ihrem Stadtteil sprühen gehen, sonst würden die Mieten demnächst in unleistbare Höhen steigen. Egal ob wahr oder nicht kann diese Analyse für die meisten Stadtteile geltend gemacht werden (und wie gut würde es passen, Banksy im Rahmen von SOHO zu einem Stencil-Workshop ins Ottakringer Jugendzentrum einzuladen – SOHO würde vor lauter Authentizität aus allen Nähten platzen).

Ihr habt vergessen, die Klassenfrage zu stellen
„SOHO IN OTTAKRING stellt heute den Versuch dar, künstlerischen, sozialen, stadtplanerischen und wirtschaftlichen Themen und Zielsetzungen eine gemeinsame Plattform zu geben. Das sich überschneidende nachhaltige Anliegen dieser Kooperationen ist die Initiierung eines Stadtteilimpulses und damit eine behutsame Aufwertung der Lebensverhältnisse im Viertel.“[2] So lautet die Eigendefinition der Veranstalter_innen, die die Akteur_innen der Aufwertung von (wessen?) Lebensverhältnissen wie im Lehrbuch aufzählt. Dass das Vokabular der Gentrifizierung längst in die Alltagssprache Eingang gefunden hat, lässt sich – fast schon wieder charmant – in einem Artikel der Wiener Zeitung nachlesen, der in Solidarität mit SOHO gegen Angriffe der FPÖ das Erfolgskonzept des Festivals rühmt: „Über die Jahre ist es gelungen, in einem ehemaligen Glasscherbenviertel[3] eine lebendige Kulturszene zu etablieren, die auch außerhalb der Festivalzeiten für Belebung sorgt. Das Brunnenviertel ist heute eine junge, urbane Vorzeigegegend. Soho war so erfolgreich, dass es heute kaum mehr leer stehende Lokale gibt. Natürlich gab und gibt es immer Reibeflächen mit Migranten. Wenn Kunst versucht, hier multikulturell Brücken zu schlagen, ist das eine zukunftsweisende Investition.“[4] Dass es im ehemaligen Glasscherbenviertel natürlich immer Reibeflächen mit Migranten gibt, macht also nichts, solange Kunst multikulturell Brücken schlägt.

Genau in diese Kerbe schlägt SOHO und vergisst vor lauter Konzentration auf die Achse der Multikulturalität, dass es in all diesen multiplen Kulturalitäten Klassenunterschiede gibt, die für einen Zugang zu Kunst, wie das Festival ihn propagiert, maßgeblich sind, und die umgekehrt durch den Beitrag, den Kunst zur Entwicklung des Brunnenviertels zu „eine[r] junge[n], urbane[n] Vorzeigegegend“ leistet, im Nahbereich der Lebensverhältnisse (mit) hergestellt oder verstärkt werden. Antirassismus als Einschluss funktioniert auch hier nur über arrivierte, im Kulturbereich angekommene Migrant_innen (ebenso wie auch die involvierten Nicht-Migrant_innen einen homogenen Klassenhintergrund haben), und hat mit den (36 Prozent migrantischer) Ottakringer_innen, die SOHO so gerne zitiert, sehr wenig zu tun.
Migrantisch oder nicht würden wir es nichtsdestotrotz auf den ersten Blick begrüßen, dass ein Stadtteilfestival sich zum zweiten Mal in seiner Geschichte[5] dem Thema Anti/Rassismus widmet.

Ventil Multikulturalismus – kick the habit!
Auf zwei Ebenen sehen wir ein Problem mit dem hier gemachten Versuch, Rassismus zu thematisieren. Inhaltlich ist das Scheitern vorprogrammiert, solange das Konzept von SOHO Ottakring unerschütterlich auf den Faktor „Multikulturalität“ als viel zitiertes „buntes Miteinander“ setzt, vor dessen Kulisse sich das Festivalprogramm abspielt. Basierend auf der Idee ethnischer Diversität und der kulturellen Logik eines multinationalen oder globalen Kapitalismus entsteht daraus letztlich eine moderne, für aufgewertete Stadtteile kompatible Form von Rassismus: der tolerante Rassismus. „Multikulturalismus ist ein Rassismus, der seine eigene Position jeglichen positiven Inhalts entleert (der Multikulturalist ist kein direkter Rassist, er [oder sie] hält dem Anderen nicht die partikularen Werte seiner [oder ihrer] eigenen Kultur entgegen); dennoch bleibt diese Position aber die eines privilegierten leeren Platzes des Allgemeinen, von dem aus man in der Lage ist, die anderen partikularen Kulturen zu würdigen (und zu entwerten): Der multikulturelle Respekt gegenüber der Besonderheit des Anderen ist nichts anderes als die Behauptung der eigenen Überlegenheit.“[6]

Auf einer formalen Ebene wiederum stellt sich die Frage nach dem Politischen im Kulturfestival, das sich nicht allein aus den Inhalten aneinandergereihter Veranstaltungen ergeben kann: Die Intervention durch Kunst ins Soziale verlangt Verantwortung nicht in der Darstellung der Realität, sondern in der Ermöglichung von Dynamiken, die diese Realität infrage stellen und stören, um sie zu brechen. Der politische Charakter eines Kunstfestivals muss sich daraus ergeben, inwieweit es sich – nicht nur rhetorisch – von einer Praxis der neoliberalen Produktion von Spektakel im Namen politischer Korrektheit unterscheidet. Kulturelle Praxen und Kunstproduktion scheitern oft genug daran, dass sie zu produkt- und zu wenig prozessorientiert sind. Das Outcome, drei Wochen SOHO, kann keine nachhaltigen politischen – antirassistischen – Veränderungen veranlassen, wenn die Konzentration auf – durchaus gut gemachter und unterhaltsamer – Eventkultur liegt.

So viel SOHO und so wenig Ottakring
Zudem ist den Organisator_innen von SOHO Ottakring der grobe Fehler unterlaufen, dem Festival den politisch nicht trag- oder auch nur argumentierbaren Titel „Ventil Rassismus – pfeif drauf, kick the habit“ zu geben. Rassismus in seiner Funktion als Ventil zu bezeichnen, auf das einfach zu pfeifen, zu verzichten sei, verkennt oder verbirgt dessen strukturelle Dimension. Der Titel ruft einmal mehr zu Toleranz auf, ohne darauf zu verweisen, wie sehr Rassismus auf Verhältnissen von Macht, Ausbeutung, Ungleichheit und Ausschlüssen basiert, auf die sich nicht von jeder Position aus „pfeifen“ lässt.

Über eben dieses verfehlte Rassismusverständnis wurde auf einer Podiumsdiskussion, die die Arbeitsgruppe Migration und Antirassismus unter dem Titel „Ventil Rassismus? No racism“ in der Radowanhalle am Yppenplatz veranstaltete, heftig diskutiert[7]. „Es wäre gut, wenn der Rassismus wie ein Ventil funktionieren würde, das sich einfach öffnen und schließen ließe. Dann wäre das Problem Rassismus leicht zu lösen. Aber wir wissen leider alle, dass Rassismus zutiefst in die sozialen und ökonomischen Strukturen der Gesellschaft verwickelt ist, die die bestehenden Machtverhältnisse aufrecht erhalten.“[8] Mehr als um die Affirmation der politischen Repräsentation von Minoritäten drehte sich die Diskussion in der Folge um die Frage, wie die Agenda Antirassismus in SOHO Ottakring – paradigmatisch für engagierte Kulturveranstaltungen – implementiert wurde und wie sich der nicht nur dort anzutreffende „bad habit“ der Idee eines Rassismusventils vermeiden oder besser verlernen ließe: indem ein Verhandlungsraum von Dynamiken, Kämpfen und Positionen von kollektiven Akteur_innen geschaffen wird, innerhalb dessen neue gegenhegemoniale Konfigurationen und Strategien ausgeheckt werden und neue Epistemologienentstehen können – des Wissens und der Praxis. Gefordert wurde die Partizipation von antirassistischen und migrantischen Akteur_innen schon an der Konzeption von Programmen und an deren Kommunikation. Gerade wenn es um die vielfach herbeigesehnten Migrant_innen aus der Umgebung geht, braucht es statt einer kurzfristigen Einladung zu Veranstaltungen eine kontinuierliche lokale „Interessenpolitik“, um die politische Formierung einer Basis zu erreichen, durch die ein Projekt voll guter Absichten auch gut verankert wird. Ob das über die Formate der Kunst möglich ist, bleibt kritisch zu beäugen – und war übrigens ein Anspruch, dem die AG Migration und Antirassismus bei der Organisation ihrer eigenen Veranstaltung auch nicht gerecht wurde, sodass sich bei den Diskussionen und Workshops einmal mehr die usual suspects der kulturpolitischen und -aktivistischen Szene einfanden und keine Nachbar_innen vom Yppenplatz – mehr SOHO als Ottakring.

[1] Laut dem Berliner Soziologen Andrej Holm gibt es folgende zentrale Merkmale von so genannten Stadtaufwertungsprozessen: Ziel sind Viertel, die aus Sicht der Investor_innen ökonomisch unternutzt, das heißt also von einer nicht „besser verdienenden“ Bewohner_innenschaft bewohnt werden. Gentrifizierung bedeutet doppelte Aufwertung, einerseits bezogen auf baulich-räumliche Strukturen, die durch Sanierungs- und Renovierungsarbeiten verändert („modernisiert“) werden, andererseits ökonomisch, was bedeutet, dass der Bodenwert steigt, und infolge dessen Mieten und Grundstückspreise. Damit einhergehend vollzieht sich ein Eigentümer_innen- und Bewohner_innenwechsel hin zu jenen,die sich das Leben in den neu gestalteten Stadtvierteln leisten können und wollen.

[2] siehe: Blog von Soho in Ottakring

[3] „Glasscherbenviertel“ rekurriert mehr oder weniger gelungen auf die „broken window Theorie“ der Stadtsoziologie, die grob skizziert davon ausgeht, dass nicht weiter definierter „Vandalismus“ (das Einschlagen von Fensterscheiben) nach sich zieht, dass Stadtteile verwahrlosen (weitere Fenster eingeschlagen werden). Ob Ottakring vor Einzug von SOHO wirklich am Rande des Verderbens stand, sei dahingestellt.

[4] Baumgartner, Bernhard (2010): Wiener Zeitung Printausgabe vom Donnerstag, 29. April 2010

[5] Im Jahr 2004 wurde bei SOHO Ottakring der so genannte living room-soho als Diskussionsraum über mögliche Allianzenbildungen zwischen Kunst und Antirassismus eingerichtet. Nachzulesen in: Bratić, Ljubomir/ Koweindl, Daniela/ Schneider, Ula (2004): Allianzenbildung zwischen Kunst und Antirassismus. Annäherungen, Überschneidungen, Strategien, Reflexion.

[6] žižek, Slavoj (2001): Die Tücke des Subjekts. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 298-299.

[7] An dem ersten in einer Reihe von Podiumsgesprächen nahmen Usnija Buligovic (Thara), Dominic Mariochokwu Gilbert aka Item 7 (Recherchegruppe zu Schwarzer österreichischer Geschichte und Gegenwart/ Pamoja), Marina Gržinić (Reartikulacija), Marissa Lobo (maiz) und Simone (BORDERCROSS Kollektiv) teil.

[8] Araba Evelyn Johnston-Arthur in der Diskussion „Ventil Rassismus? No racism“ am 11. Mai

Marissa Lobo ist Migrantin, feministische, antirassistische/antisexistische Aktivistin und lebt prekär/revolutionär zwischen Linz und Wien.

Lisa Bolyos ist feministische und antirassistische Aktivistin und lebt in einem kleinen linken Hausprojekt in Hernals.