Die Repression schreitet voran

In Absprache mit und Begleitung ihrer Anwältin entschied sich I., den Termin wahrzunehmen. Vor Ort wurde I. nach einem kurzen Verhör unmittelbar verhaftet. Zeitgleich mit der Verhaftung wurde ihre Wohnung von der Polizei aufgebrochen, durchsucht und verwüstet. Computer und andere Gegenstände wurden beschlagnahmt.

Die Repression lässt nicht nach: Zu den vielen Beispielen der jüngsten Zeit, von der Demo gegen den WKR-Ball Ende Januar bis zu den 49 Festnahmen bei Protesten gegen die Abschiebung zweier Spieler des FC Sans Papiers am 29. April, kommt die Repressionswelle gegen vier Aktivist_innen, die nach mehreren Wochen am 23. August aus der U-Haft entlassen wurden. Trotz aller Freude über die Entlassung ist kein Ende in Sicht.

Die Hintergründe
Am 6. Juli 2010 kam es in Wien zu Hausdurchsuchungen von drei Wohnungen und einem linken Vereinslokal. In den Wohnungen wurden diverse Gegenstände wie bspw. Computer beschlagnahmt sowie Gegenstände zerstört. Bei dem Verein „Kaleidoskop“ wurden laut eigener Stellungnahme die Tür des Lokals eingetreten, das Schloss aufgebrochen und „zahlreiche – teilweise private – Gegenstände wie Computer, Festplatten, Seifenblasenlauge, gereinigtes Petroleum für Feuerjonglage sowie der Tresor (inklusive der darin befindlichen Handkassen 2er Projekte)“ mitgenommen. Der Verein wurde vor dem Vorfall nicht informiert, und Mitglieder konnten lediglich den Schaden danach begutachten. Im Rahmen der Hausdurchsuchungen wurden drei Personen verhaftet.

Die Hausdurchsuchungen und Verhaftungen wurden mit Ermittlungen in Bezug auf einen Mülltonnen-Brand vor einer AMS Filiale im 5. Bezirk begründet. Auf Indymedia wurden ein Kommuniqué, ein Video und Fotos veröffentlicht, welche die Aktion dokumentieren und in einen politischen Zusammenhang stellen. Die Aktion sollte laut dem Kommuniqué den Charakter des AMS als Disziplinierungsapparat aufzeigen, bei dem „unter ständiger finanzieller Existenzangst ... (Lohn)arbeitslose ihre Arbeitskraft den kapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen am Arbeitsmarkt meist ohne jeglicher Selbstbestimmungsmöglichkeit zur Verfügung stellen [müssen]“. Laut Staatsanwaltschaft wurde auch das „Kaleidoskop“ verdächtigt, Vorbereitungs-, Lager- sowie Ausgangsort der AMS-Aktion gewesen zu sein. Viel eher ist anzunehmen, dass die Polizei einfach das nächstliegende linke Vereinslokal (das Kaleidoskop befindet sich 200 Meter vom AMS entfernt) in ihr Visier nahm und dass es um die Sammlung von Daten über Aktivist_innen geht.

19. Juli – die vierte Verhaftung
Laut indymedia.org wurde am 19. Juli I. von einem Beamten des LVT (Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung) telefonisch im Halbstundentakt belästigt. Der Beamte drängte auf ein Treffen und drohte mit einem Haftbefehl. I. kontaktierte eine Anwältin, der mitgeteilt wurde, dass auch gegen I. im gegenständlichen Verfahren Ermittlungen als Beschuldigte laufen. Auch der Anwältin gegenüber wurde die Drohung ausgesprochen, dass falls I. nicht zu dem (ohne schriftliche Ladung!) vereinbarten Termin erscheine, ein internationaler Haftbefehl gegen sie ausgestellt werden würde. In Absprache mit und Begleitung ihrer Anwältin entschied sich I., den Termin wahrzunehmen. Vor Ort wurde I. nach einem kurzen Verhör unmittelbar verhaftet. Zeitgleich mit der Verhaftung wurde ihre Wohnung von der Polizei aufgebrochen, durchsucht und verwüstet. Computer und andere Gegenstände wurden beschlagnahmt. Auch I. saß bis zum 23. August in U-Haft.

Die Schikanen hörten damit nicht auf. Der Anwältin sowie den Beschuldigten wurde erst kürzlich eine unvollständige Einsicht in die Akten gewährt. Des Weiteren durften die Inhaftierten während der ersten Wochen außer ihrer Familie und der Anwältin keinerlei Besuche erhalten. Die Anwältin der Inhaftierten, Dr. Anja Oberkofler, hatte kein Verständnis für die eingesetzten Mittel: „Meines Erachtens best[and] kein dringender Tatverdacht, daher auch kein Grund für eine Untersuchungshaft.“

„Politische Motive“ und §§278
Es hätte klar sein müssen – die Anwendung des §278a bzw. der §§278ff hört nicht mit den 13 Angeklagten Tierrechtsaktivist_innen auf. Trotz aller Kritik und Absurditäten bei dem Prozess in Wiener Neustadt haben die Polizei und Staatsanwaltschaft ein Mittel gefunden, durch das politischer Aktivismus kriminalisiert werden kann. Im Falle der „AMS 4“ wird gegen die Betroffenen wegen Brandstiftung, Sachbeschädigung und Verbrecherischem Komplott (§277) ermittelt. Michaela Schnell, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft Wien, meinte, dass der Verdacht auch auf §278b (Terroristische Vereinigung) ausgeweitet werden könnte. Ausschlaggebend dafür wären „Erwägungen über das Motiv der Tat“. Hier wird einmal wieder klar, dass vor allem Meinungen verurteilt werden sollen. So funktionieren §§278ff: Statt einzelne Delikte strafrechtlich zu verfolgen, werden Menschen der Mitgliedschaft bei einer Gruppe beschuldigt, die irgendwie für irgendwelche Straftaten verantwortlich sein sollen, ohne dass den Einzelnen konkret etwas nachgewiesen werden kann. Darüber hinaus ermöglichen die Paragrafen die Anwendung von erweiterten Überwachungsmaßnahmen. So sei in diesem Fall dem Akt zu entnehmen, dass eine Person seit Anfang Mai observiert wurde. Neben der Kriminalisierung politischer Zusammenhänge bedeutet dies einen massiven Einschnitt in die Privatsphäre der Betroffenen.

Mögliche Reaktionen? Solidarität mit den Betroffenen zeigen, die Abschaffung der §§278ff (und §277!) und die Einstellung aller Verfahren fordern, unsere Freiräume verteidigen und Zusammenarbeit mit den Repressionsbehörden ablehnen.

FightRepression2010 übt Solidarität mit den von staatlicher Repression betroffenen Akti-vist_innen, gegen die im Zusammenhang mit einem Mülltonnen-Brand vor einem Wiener AMS ermittelt wird.

Mehr Infos: Fight Repression