Vision Disorders

Anmerkungen zur musealen Repräsentation der Migration

Ob in kleineren und größeren Stadt- und Geschichtsmuseen, bei Projekten, Tagungs- und Publikationsaktivitäten – die Migration scheint in der deutschen Museumslandschaft angekommen zu sein. Seit 2009 setzt sich dazu der Deutsche Museumsbund, Dachverband aller Museen in Deutschland, mit einem 2010 gegründeten Arbeitskreis, mit eigenem Programm bei seiner Jahrestagung 2012 und mit zwei Förderprojekten seit 2012 auseinander. Eines der deklarierten Ziele ist, Migrant_innen eine „kulturelle Teilhabe“ zu ermöglichen und „Nicht-Besucher in den Fokus [zu nehmen], die oder deren Familien eine Migrationsgeschichte haben“ (Deutscher Museumsbund 2012). Reflexartig nehmen einige Museumspositionen offenbar an, Individuen unter dem Label „Migrationshintergrund“ seien kultur- und bildungsfern. Als Maßnahmenpakete werden so dann bevorzugt „Partizipationsprojekte“ mit migrantischen Vereinen oder Schulklassen mit hohem Migrationsanteil umgesetzt. Im Ausstellungsbetrieb wird Migrationsgeschichte vor allem in temporären Sonderausstellungen erzählt. Beim Gegenstandsbereich Sammeln stellen viele Museumspraktiker_innen die Suche nach eindeutigen „Migrationsobjekten“ ins Zentrum.

All diese Ansätze eint eine Grundkonzeption, Methode und Praxis, in unterschiedlichen Modi Differenzen zwischen dem imaginierten nationalen „Wir“ und den ebenso fiktiven migrantischen „Anderen“ fortzuschreiben. So ist der museale Aktionismus, den Blind Spot Migration nach jahrzehntelanger Ausblendung zu bearbeiten, daraufhin zu befragen, wer, wie und über wen im Museum sprechen kann – eine Institution, deren heutige Verfasstheit eng mit den west-europäischen nationalen und kolonialen Projekten und Wissensbeständen verwoben ist.

Aus dem Wartesaal der Geschichte

Die Musealisierung der Migration steht in der deutschen Version in Zusammenhang mit einer Kritik am Museum, die seit den 1960er-Jahren institutionelle Veränderungen für mehr Gegenwartsbezug und eine Öffnung für marginalisierte Positionen fordert, um Demokratisierungsprozesse im Kultursektor in Gang zu setzen. In Deutschland führten diese Debatten bis auf wenige Ausnahmen erst seit den 1990er-Jahren zu konkret wahrnehmbaren Veränderungen der Museumspraxis. Ein Migrationsdiskurs konnte sich im Museumsfeld allerdings erst nach 2007 in Zusammenhang mit nationalen Integrationspolitiken breiter entfalten, die stets mit blumigen Begriffen wie „Teilhabe“, „Toleranz“ und „Dialog“ dekoriert werden. Aber selbst ein kurzer Blick auf die Genese von Inklusionsmodellen im Migrationsdiskurs führt zum migrantischen Protagonismus seit den 1960er-Jahren. Im Zentrum vieler Aktionen stand, Sichtbarkeit für die Lebensrealitäten der Migration herzustellen und soziale Gleichstellung und Teilhabe zu fordern. In der deutlich späteren staatlichen Version zu „Integration“ ist aber festzustellen, dass sich die Aufforderungen und Maßnahmen dazu lediglich an Migrant_innen richten; die Migration erscheint vor diesem Hintergrund wie eine defizitäre Abweichung, und gleichzeitig wird die Imagination einer deutsch-nationalen Kultur normalisiert.

Auch die Musealisierung der Migration in Deutschland ist ohne migrantische Initiativen nicht denkbar. So identifizierte das Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V. (DOMiD) in den frühen 1990er-Jahren die Leerstelle Migration im sogenannten „kollektiven Gedächtnis“ und forderte eine Abbildung des migrantischen Beitrags zur Entwicklung Deutschlands ein. Der Verein arbeitet nach wie vor an einer Berücksichtigung der Migrationsgeschichte in den Museen und Archiven und plädiert darüber hinaus für ein eigenes nationales Migrationsmuseum. Zudem beginnen immer mehr lokale Projekte, Migrationsgeschichten zu sammeln und zu bearbeiten. Auch gibt es eine ganze Reihe von Ausstellungsprojekten und Aktionen von kritisch-wissenschaftlicher, künstlerischer und aktivistischer Seite in engen Kollaborationen mit Akteuren der Migration, wie zum Beispiel Movements of Migration. Neue Perspektiven auf Migration in Göttingen (2013, Göttingen).

Diese Projekte setzen bei einer Kritik der nationalen Historiografie und der gängigen Bilderproduktion an, in denen die Migration höchstens als Problem, Störung, Gefahr oder Abweichung auftreten kann. Indem sie die Funktions- und Wirkweisen des nationalen Blickregimes und den Konstruktionscharakter von Differenzkategorien offen legen, zielen sie auf eine Neubetrachtung von Geschichte jenseits von Essentialisierungen. Dabei werden gerade die verunsichtbarten Migrant_innen trotz Ausschluss schaffender Politiken als geschichtsbewegende Akteure sichtbar und die Migration als Motor für soziale, kulturelle sowie politische Entwicklungen erzählbar. In den musealen Migrationsdebatten spielen diese Initiativen, Projekte und Akteure bei Konzepten und inhaltlichen Ausgestaltungen jedoch nur eine marginalisierte Rolle, obwohl diese auf langjährige Sammlungs- und Ausstellungserfahrungen zurückblicken können.

Sichtbarkeitsmodi im nationalen Museumscontainer

Ausgangspunkt für die meisten Migrationsausstellungen im Museum sind häufig markante Jubiläen zu den bilateralen Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und vornehmlich südosteuropäischen Staaten. Die Erzählungen dazu werden jedoch höchstens punktuell und in abgesonderten Displays in wenigen Dauerausstellungen, meist jedoch als temporäre Sonderausstellung präsentiert. In den Ausstellungsdisplays werden dazu all die individuellen Migrationsprojekte fast immer in eine lineare Chronologie zwischen Anwerbung, Reise und Integrierung eingepasst. Das Metanarrativ folgt dabei der gängigen nationalen Geschichtsschreibung zur Entwicklung der Bundesrepublik. Die Erzählperspektive ist ferner vom kolonialen Blickregime geprägt, das vornehmlich männliche „Südländer“ aus ruralen, „vorindustriellen“ Gegenden auf ihrem Weg ins „Wirtschaftswunderland“ Deutschland zeigt. Zur Untermauerung wird ein regelrechter Objektkanon von Koffern, Ausweisen und „Gastarbeiter“-Verträgen sowie Fotografien von überfüllten Bahnsteigen und engen Wohnheimen in Szene gesetzt. Nach diesem Modus folgen die Protagonist_innen lediglich „Push-Pull“-Motivationen und bleiben im ewigen Schwebezustand zwischen „hier“ und „dort“. Nebenbei zentriert sich dabei die Nation als eine handelnde Macht, die Migrationsbewegungen nach den Bedürfnissen des Staates lenken und regulieren zu können beansprucht. Gleichzeitig geraten sämtliche individuell motivierten, selbstorganisierten, non-linearen Migrationsprojekte oder auch ganz andere Mobilitätsformen vor, während und nach dem „Gastarbeit“-Regime aus dem Blick.

Das Museum sieht seine Hauptaufgabe darin, „das“ kulturelle Erbe und Gedächtnis zu bewahren und zu vermitteln. Dabei wird ein Kulturverständnis manifest, das von einer Deckungsgleichheit zwischen Nation, Territorium und Kultur sowie von ihrer Vererbbarkeit qua Herkunft ausgeht. Kultur wird somit als ein stabiles, homogenes und quasi-natürliches Set mit territorial-kulturellen Differenzen und Grenzen begreifbar (vgl. Abu-Lughod 1991). Vor dem Hintergrund seiner Genese zur modernen Kulturinstitution wurde das Museum insbesondere im 19. Jahrhundert zur Produktions- und Präsentationsstätte nationalen Wissens nach darwinistischem Rassen- und Evolutionsordnungsmodell, mit dem die Welt in ethnisch differenzierte und territorial definierte Gruppen auf einer Entwicklungsskala organisierbar wurde. Seinen nationalen Bildungsauftrag, identitätsstiftende Narrative zu materialisieren, setzte das Museum mit Inszenierungen zum zivilisatorischen Fortschritt um. Präsentationen zum kolonialisierten „Rest der Welt“ mit Zeugnissen über „primitive“ Lebensweisen dienten zur Unterscheidung und Selbstbestätigung des west-europäisch bürgerlichen Subjekts. Auch heute noch erweist sich das Museum als ein re-produktiver Ort des nationalen Blickregimes, das die Welt innerhalb und jenseits des Museums klassifiziert, ordnet und kulturelle Hegemonie normalisiert.

Die museale Repräsentation der Migration knüpft häufig genug am Kontinuum eines Differenz produzierenden Kulturbegriffes an. So wird der vermeintlich migrantische Alltag bevorzugt zu Aspekten wie Folklore, Speisen und Religion dargestellt und mit ungewöhnlichen, zuweilen auch spektakulär wirkenden Objekten belegt; vielen Museumspraktiker_innen zufolge benötigt das museale Erzählen „selbst-sprechende“, eindeutige „Migrationsobjekte“. Solch eine Einforderung von Authentizität und kultureller Markierung gliedert die vermeintlich „Anderen“ per se aus dem Rahmen eines vorstellbaren Kollektivs aus.

Bei der Wahl von Geschichten werden migrantische Akteure insbesondere dann sichtbar, wenn sie sich im Modus einer gelungenen Integration erzählen lassen. Hierbei treten vor allem migrantische Arbeitsleistungen und Bereicherungen etwa der kulinarischen Palette in den Vordergrund. Gerade im städtischen Kontext scheint die Migration in diesem Modus zu einem Teil der Repräsentation werden zu können. In Anlehnung an Managementprogramme aus dem Wirtschaftsfeld kommen vermehrt Stile und Maßnahmen des Regierens von „Diversität“ zum Einsatz, mit deren Hilfe migrantisch definierte Bevölkerungsteile dazu aufgerufen werden, ihren Beitrag zur städtischen Gemeinschaft zu leisten (vgl. Rodatz 2012: 87). Gerade im Ausstellungswesen über Stadtgeschichte können so Figuren in Erscheinung treten, die sich für die soziale, ökonomische und kulturelle Stadtentwicklung verdient machen und ihren Beitrag zum symbolischen Kapital einer Stadt leisten. Migrantische Kultur kann dann als Ressource deutbar werden, allerdings nur wenn sie im Gefüge ihres Umfeldes integrierbar ist.

Überschüsse

Die museale Repräsentation der Migration changiert somit in einem Spektrum von kulturell markierter Differenz und Aufrufung zur freiwilligen Zwangs-„Selbsteingliederung“. Auf der anderen Seite schafft aber diese Verwertbarkeitslogik neue Ausschlüsse für nicht-produktiv gedeutete Subjekte, deren Handlungsrahmen jedoch strukturell durch politische Stati wie etwa Asyltitel organisiert sind. So folgt der Einschluss in die Historiografie den Logiken des nationalen Blickregimes, das sich zwar immer wieder unter veränderten Modi zeigt, die Nation dabei aber erneut re-zentriert – zu einem Zeitpunkt, an dem in keiner Weise klar ist, wie das nationale Konstrukt beschaffen ist.

Gleichzeitig sorgen die „Ausgeblendeten“ verstärkt für ihre eigene Sichtbarkeit, indem sie beharrlich für Rechte und Freiheit kämpfen und sich dafür den öffentlichen Raum und auch Kulturräume aneignen, wie etwa die zeitgenössischen Refugee-Protestierenden in zahlreichen Städten Europas. Damit zeigen ihre Praktiken auf, dass Geschichte sich durch Widerständigkeiten und Empörungen gegenüber ungleichen Machtverteilungen und Ausschlüssen generiert. Um an der Gegenwart anzuknüpfen und damit zu einem relevanten Ort zu werden, sollte das Museum seine harmonischen Geschichtserzählungen beiseite lassen zugunsten von Perspektiven der Migration, welche die Ambivalenzen, Widersprüchlichkeiten, Uneindeutigkeiten und Unklassifizierbarkeiten sowie neue und alte Verfestigungsversuche, rassistische Verhältnisse zu etablieren, aufzeigen.

Literatur/Quellen

Abu-Lughod, Lila (1991): „Writing against culture“. In: Richard G. Fox (Hg.): Recapturing Anthropology. Working in the Present. Santa Fe. S. 137-162.

Deutscher Museumsbund: Projekttext zu „Alle Welt: Im Museum“. Online unter: www.museumsbund.de/de/projekte/museum_und_migration/alle_welt_im_museum (20.10.2013).

Glick Schiller, Nina/Wimmer, Andreas (2002): „Methodological Nationalism and Beyond: Nation-State Building, Migration and the Social Sciences“. In: Global Networks. A journal of transnational affairs, 2/4. S. 301-334.

Website zu „Movements of Migration. Neue Perspektiven auf Migration in Göttingen“. Online unter: www.movements-of-migration.org (20.10.2013).

von Osten, Marion (2007): „Eine Bewegung der Zukunft. Die Bedeutung des Blickregimes der Migration für die Produktion der Ausstellung Projekt Migration“. In: Transit Migration Forschungsgruppe (Hg.): Turbulente Ränder. Neue Perspektiven auf Migration an den Grenzen Europas. Bielefeld. S. 169-187.

Rodatz, Mathias (2012): „Produktive ,Parallelgesellschaften‘. Migration und Ordnung in der (neoliberalen) ,Stadt der Vielfalt‘“. In: Behemoth. A Journal on Civilisation. 5(1). S. 70-103.

Natalie Bayer ist Kulturwissenschaftlerin und freie Kuratorin mit den Schwerpunkten Migrations- und Museumsforschung.