Call me a Radical!

Saul D. Alinsky: Call me a Radical! Organizing und Empowerment – Politische Schriften Göttingen: Lamuv 2011.

Der in den 1930er-Jahren in den USA entwickelte Ansatz des Community Organizing (CO) wird im deutschsprachigen Raum vor allem im Bereich der Sozialen Arbeit (Gemeinwesenarbeit), in jüngster Zeit auch verstärkt in dem der gewerkschaftlichen Arbeit (gewerkschaftliches Organizing) rezipiert. Paradox ist das insofern, als Saul D. Alinsky, der häufig als Begründer des CO gehandelt wird, zu beiden genannten Bereichen kein ungebrochenes Verhältnis pflegte und sein Konzept – allen Anleihen zum Trotz – zentral in Abgrenzung zu diesen entwickelte. Ob die Wiederveröffentlichung einer Aufsatzsammlung Alinskys für die dargestellte Rezeptionsgeschichte neue Wege eröffnen wird, bleibt abzuwarten. Dass die Neuauflage mit der IG Metall Jugend von einer deutschen Gewerkschaftsorganisation besorgt wurde, stimmt in diesem Zusammenhang allerdings skeptisch. Anstatt diesen Punkt hier jedoch weiter zu vertiefen (siehe dazu die Debatte in der Zeitschrift analyse & kritik 565 & 567), soll im Folgenden ein Blick auf den praktischen Wert des Ansatzes für politische Basisarbeit geworfen werden, die nicht verbandsförmig organisiert ist.

Alinsky ist – so viel sei vorab angemerkt – nicht der große Gesellschaftstheoretiker; seine Konzepte formuliert er vielmehr aus der Perspektive eines „Menschen der Tat“, der pragmatisch nach erreichbaren Zielen und im Hinblick darauf wirksamen Mitteln fragt. Doch gerade von seinen damit verbundenen (strategischen) Überlegungen lässt sich nach wie vor vieles lernen. Unter CO versteht Alinsky dabei einen kommunikativen Prozess, in dessen Rahmen sich subalterne Gruppen mit Unterstützung von OrganizerInnen ein Programm geben und dieses kollektiv durchzusetzen versuchen. Auf der Basis von solcherart konstituierten Selbstorganisationen sollen asymmetrische Machtverhältnisse ausgeglichen und darüber materielle Verbesserungen für die betroffenen Gruppen erkämpft werden. Dem zugrunde liegt Alinskys Idee von Demokratie als „Lebensweise“, die sich insofern als radikaldemokratisch charakterisieren lässt, als ihr – und nicht bloß hierin zeigen sich Überschneidungen zur Debatte um Soziokultur – Demokratie zugleich Mittel und Zweck ist: Erst die Teilhabe von allen kann eine Teilhabe für alle ermöglichen.

Beim Aufbau der angesprochenen Basisorganisationen setzt das als genuin konflikthaft begriffene CO weniger auf betrieblicher Ebene, denn vielmehr auf jener des Stadtteils an, womit der Ansatz über den Bereich der Produktion hinaus in jenen der Reproduktion reicht. Das macht ihn für Organisierungsprozesse im Kontext urbaner Kämpfe – sei es gegen Gentrifizierung oder für ein Recht auf Stadt – ebenso interessant wie für solche von beispielsweise Studierenden, Er-werbslosen oder AsylwerberInnen. Aber auch im Zu-sammenhang mit betrieblichen Auseinandersetzungen kann er unter den für aktuelle Prekarisierungsprozesse vielfach verbindlichen Bedingungen einer zeitlichen wie räumlichen Streuung produktiv gemacht werden.

In methodischer Hinsicht schließt sich hier die Frage an, wie im Rahmen der Organisierung einer Community konkret vorzugehen ist. Bei Alinsky selbst bleiben die Ausführungen zu diesem Thema zwar fragmentarisch – und wurden entsprechend erst in seiner Nachfolge systematisiert (etwa im Sinne einer Operationalisierung von CO als dreistufiges Verfahren von Zuhören, Recherchieren und Handeln). Manche Anregung hinsichtlich der Methoden-Frage findet sich nichtsdestotrotz auch in Call me a Radical!, was in vergleichbarer Form für jene der Instrumente gilt: Neben eher konventionellen Mitteln des Kampfs wie dem Sit-in (Sitzstreik) erläutert Alinsky im Kontext der von ihm geschilderten Kampagnen – zwischen „Shit-in“ und „Furz-in“ – nämlich auch weniger Bekanntes, das nach Nachahmung geradezu schreit.

Saul D. Alinsky: Call me a Radical! Organizing und Empowerment – Politische Schriften Göttingen: Lamuv 2011.