Himmelsrichtungen. Ein Projekt des KunstRaum Goethestrasse xtd
An der Schnittstelle zwischen Kunst und Sozialem kann zeitgenössische Kunst nicht nur individuelle, sondern auch soziale Impulse setzen. Ein Beispiel anhand des Ausstellungsprojekts "Himmelsrichtungen".
Der KunstRaum Goethestrasse xtd in Linz hat die Arbeit an der Schnittstelle von Kunst und Sozialem zum Auftrag. Dabei ist er ein Produktionsort und Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst, Auftragnehmerin für Designs und künstlerische Gestaltungen und ein Angebot von pro mente OÖ, Gesellschaft für psychische und soziale Gesundheit. In dieser Arbeit überschreitet er in produktiver Weise die Grenzen für Kunst im erweiterten Kontext. Der KunstRaum Goethestrasse xtd bewegt sich permanent in beiden Feldern, bleibt dran, erinnert, macht aufmerksam und sichtbar, dass das künstlerische Feld und das soziale Feld jeweils voneinander profitieren und damit die individuelle sowie gesellschaftliche Teilhabe unterstützen und gestalten. Die Arbeit daran bedeutet das wiederholende und kontinuierliche Ausverhandeln eines Mit- und Nebeneinanders von Zugängen, Themen und Methoden; von Menschen aus der Kunst und dem Sozialen sowie von Menschen mit und ohne psychische Beeinträchtigungen. Kennzeichnend ist zudem die Durchmischung von Produktionen, Projekten und Ausstellungen von künstlerischen Positionen, entlang von Jahresthemen, und der langfristig angelegten Initiative „City of Respect“. Workshops, Projekte und Ausstellungen sind öffentlich und kostenfrei zugänglich und richten sich an Interessierte und projektbezogen an Zielgruppen verschiedenen Alters.
...aufmerksam und sichtbar machen, dass das künstlerische Feld und das soziale Feld jeweils voneinander profitieren und damit die individuelle sowie gesellschaftliche Teilhabe unterstützen und gestalten.
Jedes künstlerisch-partizipative Projekt fußt auf der Idee, durch Projekte nachhaltig individuelle und soziale Veränderung in Gang zu setzen, zur psychischen Gesundheit und Widerstandsfähigkeit von Individuen wie Gesellschaften beizutragen und ein respektvolles Miteinander zu ermöglichen. Wir wollen mit unseren prozess- und ergebnisorientierten Projekten die psychische Gesundheit fördern, die Lebensqualität über die Teilhabe und Partizipation an der Gemeinschaft unterstützen sowie die Selbstbestimmung und die Kompetenzen für den Alltag steigern.
Projekt Himmelsrichtungen © Kunstraum Goethestraße xtd, Petra Moser und Reinhard Winkler
Himmelsrichtungen
Ein Beispiel für unsere Arbeitsweise und Projekte ist „Himmelsrichtungen“. Der Name betitelt eine mehrteilige Workshopreihe mit Ausstellung des KunstRaum Goethestrasse xtd in Zusammenarbeit mit Teilnehmer*innen der Freizeitangebote von pro mente OÖ. In Expeditionen entlang der Himmelsrichtungen wurde Unbekanntes und Neues entdeckt und es galt, eine eigene Position auf unserem Planeten zu beziehen. Die Erkundungstouren führten die Workshopteilnehmer*innen über künstlerisch-kreative Methoden von der Realität in die Fantasie und wieder zurück in die Realität. Dazu fanden vom März bis September 2019 24 Workshops in den sechs oberösterreichischen Regionen mit mehr als 130 Teilnehmer*innen statt. Die Workshops wurden abwechselnd von Susanne Blaimschein und Beate Rathmayr angeleitet und begleitet und von Kolleg*innen der Organisation unterstützt.
„Wir haben ́s trotz großer Anstrengung geschafft. Das ist ein Erfolgserlebnis!“ – so eine Rückmeldung zum Projekt.
An den ersten zwei Workshop-Nachmittagen wurden alle Teilnehmer*innen aufgefordert, sich mit Zeichnungen und Gesprächen dem Thema zu nähern. Zahlreiche Zeichnungen von Expeditionen entlang der Himmelsrichtungen entstanden daraus. Am Beginn der Workshops wurden Thema und Ergebnisse anderer Workshops präsentiert, um das Vertrauen in den Prozess und die eigene Person zu stärken. Denn um innovativ und kreativ sein zu können, ist Offenheit zum Experimentieren notwendig, ebenso Vertrauen in sich selbst, in die eigenen Fähigkeiten und das Ausloten von Grenzen.
In weiteren Workshop-Einheiten sollten die Workshopteilnehmer*innen sich zunächst in Kleingruppen auf einen Bildkompositionsprozess einlassen, das Material und die Orte für Inszenierungen dieser Bilder planen und sich diese gegenseitig präsentieren. Die Inszenierungen fanden vor Ort in den Regionen statt und wurden von zwei professionellen Fotograf*innen begleitet, wodurch eine besondere Aufmerksamkeit der Workshopteilnehmer*innen auf diesen Projektteil gelegt wurde.
Die Ausstellung HIMMELSRICHTUNGEN zeigt eine Auswahl an Zeichnungen, Inszenierungen und Texten, die in den Workshops entstanden sind. Wichtig ist für uns, dass diese Ausstellung als Ergebnis eines gemeinsamen künstlerischen Prozesses gezeigt wird und nicht als emotionsgeladenes Ergebnis eines Bastelworkshops für Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Dafür erfolgt ein Auswahl-, Übersetzungs- und Gestaltungsprozess, die Produktion eines Gesamt Films, Vermittlungsangebote wie auch die Ausstellungsgestaltung seitens des KunstRaum Goethestrasse xtd. Ausgewählte Text- und Grafikergebnisse des Projekts werden in diesem Fall auch in einem Produktdesign weitergetragen.
Projekt Himmelsrichtungen © Kunstraum Goethestraße xtd, Petra Moser und Reinhard Winkler
Derartige Ziele steigern die Wertigkeit der künstlerischen Produktion und die Motivation der Workshopteilnehmer*innen. Durch diese institutionelle Wertschätzung und professionelle Umsetzung der Ergebnisse geschieht eine Aufwertung der Workshops und Öffentlichkeit wird erzeugt. Die Workshopteilnehmer*innen messen ihren Leistungen verstärkt Bedeutung bei und erleben Lerneffekte intensiver. Zusätzlich ist eine Dokumentation für die Nachbearbeitung der Erfahrung wichtig. Dafür führen wir bevorzugt eine Videoproduktion durch, um den Beteiligten etwas Verbindendes am Ende des Prozesses mitgeben zu können.
Die Arbeit an künstlerisch-kreativen und partizipativen Prozessen und Ergebnissen benötigt Zeit und Wiederholung, um den Projektbeteiligten Raum für Entwicklung zu geben und das Lernen zu unterstützen. Zeit und Einsatz von Ressourcen dafür sind grundlegend für den Erfolg in der Qualität der Ergebnisse und in Bezug auf die angestrebten Wirkungen. Zum Beispiel fanden die Workshops für dieses Projekt an wechselnden Orten in den Regionen statt, sodass ein gegenseitiges Vernetzen und Kennenlernen verbunden mit der Vertrautheit des eigenen Ortes möglich waren. Für jene, die an die Workshop-Orte anreisen mussten, wurde Abwechslung aus dem Alltag ermöglicht. Aus der Erfahrung wissen wir, dass ein konzentriertes gemeinsames Arbeiten die Belastbarkeit der Teilnehmer*innen fordert und dass es ebenso ausreichend Workshop-Zeit braucht, um Teil eines Projekts zu werden.
Mit unseren Projekten wollen wir Räume für Individuen und Gruppen schaffen, die ein Experimentieren erlauben, es ermöglichen, ein Bild von sich selbst zu bekommen und sich im Kontext einer Gemeinschaft zu reflektieren. Zentral dafür ist, dass Rezeption wie Produktion von Kunst immer auch eine Auseinandersetzung mit sich selbst verlangt. Es heißt aktiv zu werden, unübliche Aufgaben zu bewältigen und Grenzen auszuloten. Gleichzeitig ist erlaubt, Befindlichkeiten zu formulieren und Fragen zu stellen. Lernprozesse werden durch das gemeinsame Erarbeiten von Themen in Gang gesetzt und der Umgang mit Handwerkstechniken, unterschiedlichen Materialien und dem eigenen Körper durch Bewegungen führt zu Kompetenzentwicklung. Das Arbeiten an einem gemeinsamen Ergebnis kann Gruppen zusammen- schweißen, Teamgeist fördern, die Dynamiken anderer spürbar machen und interpersonelle Prozesse aufzeigen. Es wird leichter für die Workshopteilnehmer*innen sich auf den Prozess einzulassen und darüber vorab und mit weiteren Interessierten zu reden. Die Kontinuität in der Workshopbegleitung und -anleitung ist, wie die Unterstützung durch die gewohnten Betreuungspersonen und Ansprechpersonen, für viele der Workshopteilnehmer*innen wesentlich.
Die Arbeit an der Schnittstelle Kunst und Soziales braucht einen langen Atem, intrinsische Motivation, Neugierde, Ausdauer, Wissen um die Bedingungen der beiden Felder, Inspiration und Sensibilität für künstlerische und soziale Prozesse, um aus den Effekten und Wirkungen der Zusammenarbeit zu profitieren und ein implizierendes Selbstverständnis daraus zu gewinnen.
Susanne Blaimschein ist Kulturmanagerin, Mitbegründerin und langjährige Leiterin des KunstRaum Goethestrasse xtd und Obfrau des Festivals der Regionen.
Der KunstRaum Goethestrasse xtd wurde für seine Arbeit an der Schnittstelle Kunst und Soziales mehrfach ausgezeichnet. Zuletzt erhielten Beate Rathmayr und Susanne Blaimschein den Kunstwürdigungspreis der Stadt Linz für Bildende Kunst und Interdisziplinäre Kunst.
Alle Bilder entstammen dem Workshop und der gemeinsamen Produktion.
Coverfoto: Zeichnung von Teilnehmer*in des Projekts, Video © KunstRaum Goethestrasse xtd / dorftv
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.19 „Kultur als Rezept“ des Magazins der IG Kultur Österreich - Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda erschienen.
Das Magazin kann unter office@igkultur.at (5 €) bestellt werden.