Queere Allianzen und Dissonanzen

Die Linien diskriminatorischer Praxen überschneiden sich zum im Bereich (de)sexualisierender, erotisierender Repräsentationen in einer Öffentlichkeit, die die Folklorisierung und Karnevalisierung dieser Kontexte unterstützt, ja fördert: MigrantInnen und Lesben, Schwule und Transgenders als bunter Aufputz, der schließlich der Normalität einer weißen, heterosexuellen, männlichen und christlichen Hegemonie dienlich ist.

Aufgrund meiner anhaltenden Alphabetisierung im politischen Antirassismus wurde es mir möglich gemacht, die diversen Formen rassistischer Strukturen auch mit denen homophober Strukturen zusammenzudenken. Diese Linien diskriminatorischer Praxen überschneiden sich zum Beispiel im Bereich (de)sexualisierender, erotisierender Repräsentationen in einer Öffentlichkeit, die die Folklorisierung und Karnevalisierung dieser Kontexte unterstützt, ja fördert: MigrantInnen und Lesben, Schwule und Transgenders als bunter Aufputz, der schließlich der Normalität einer weißen, heterosexuellen, männlichen und christlichen Hegemonie dienlich ist.

Wie aber steht es um das Projekt eines politischen Anti-Antisemitismus, und was kann ein queerer Blickwinkel zu diesem beitragen? Welche Überschneidungen und Anknüpfungspunkte gibt es, welche Dissonanzen haben andererseits ein politisierendes diskursives Feld bisher verhindert? Ein Ausgangspunkt hinsichtlich dieses Fragenkomplexes ergibt sich für mich auch immer aus der Betrachtung der eigenen Erfahrungen mit strukturellem Antisemitismus: Wie sehr haben die Schulfahrten zur Holocaust-Gedenkstätte Mauthausen nicht vielmehr einen moralischen Anti-Antisemitismus in mir produziert, der weder mich noch die anderen an die Ebene des strukturellen Antisemitismus rühren ließ? Inwieweit war dies in meinem Umfeld nicht einfach ein moralischer Anti-Antisemitismus ohne Juden und Jüdinnen? Weder gab es an unserer Schule ZeitzeugInnengespräche, noch andere Formen einer konkreten Auseinandersetzung mit der Nazi-Vergangenheit und der TäterInnenschaft der österreichischen Bevölkerung. Stattdessen rezitierten wir brav die Todesfuge Paul Celans im Bedenkjahr 1988, aber sollte diese nicht etwas abgeändert lauten: "braune Milch der Frühe / wir trinken sie abends / wir trinken sie mittags und morgens / wir trinken sie nachts …" – in der Schule. Was kann eine Auseinandersetzung mit diesen Geschichten zu einer weiteren Strategie im Kampf gegen diverse Formen der Diskriminierung beitragen?

Aus der Perspektive queertheoretischer Ansätze ergeben sich zwei spannende Stränge, die ich in diesem Artikel näher beleuchten möchte: zum einen die Vergeschlechtlichung von Körpern, die einerseits als jüdisch und andererseits als homosexuell identifiziert werden, und zum anderen die Vergeschlechtlichung von Nationalstaatlichkeit. Auf beiden Ebenen kommt es zu Überschneidungen antisemitischer, sexistischer wie auch homophober Strategien, gleichzeitig wurden aber auch innerhalb dieser Bereiche Widersprüche produziert. Der Einsatz von Analogien kann hilfreich sein, um diese Zuschreibungspraxen zusammenzudenken, er ist jedoch auch ständig der Gefahr unterworfen, Differenzen zwischen den sich jüdisch oder homosexuell Identifizierenden oder Identifizierten auslassen zu wollen und Differenzen innerhalb dieser "Identitäten" zu negieren.

Die Genealogie der Vergeschlechtlichung von Körpern – worunter ich Zuschreibungspraktiken verstehe, die eine hegemoniale Struktur in der Art stützen, dass sie spezifische Subjekte genderrelevanten Einteilungen unterwerfen – gibt die Sicht auf eine Reihe von Kontinuitäten frei: In den antisemitischen Diskursen und mit dem Erstarken der Sexualwissenschaft Anfang des 20. Jahrhunderts wurde u.a. die Festschreibung von Jüdinnen als vermännlicht und die von Juden als verweiblicht vollzogen. Gleichzeitig gab es mit dem Berliner Psychologen Hans Blüher (1888–1955) einen Theoretiker des (deutschen) Männerbundes und der Wandervogelbewegung, der sich intensiv für die homoerotischen Komponenten des heroisch-germanischen Männerbundes einsetzte. In seinen Ausführungen zur Bedeutung der Homoerotik unter Männern unterschied Blüher jedoch grundsätzlich zwischen, wie er es nannte, "liberal-jüdischen" homosexuellen Kreisen und den von "Feminität und Weichlichkeit" freien homoerotischen Wandervögeln.

Der jüdische Mann, der eventuellen homoerotischen Neigungen nachgeht, stellte sich Blüher als effeminierter "Weibling" dar; im Gegenzug dazu wird versucht, die germanische Variante dieses Mann-Mann-Verhältnisses ins Licht des Heldentums zu rücken. Blühers Schriften verweisen – in antifeministischer und antisemitischer Grundstruktur – auf den Männerbund als die eigentlich staatstragende Einheit, der aber auch durch eine antipatriarchalische Komponente die Familie als Kern des Nationalstaates auszuhebeln sucht. Diese Anwandlungen sind auch im Lichte der zunehmenden Feminisierung der Gesellschaft um die Jahrhundertwende zu sehen: die Erlangung des Wahlrechts, Zugang zu höherer Bildung und verstärkte Werktätigkeit der Frauen mögen hier als Beispiele dienen.

Als besonders bedrohlich wurde aber auch die Nationalstaatslosigkeit des jüdischen Volkes konstruiert: Ein Volk, das ohne Territorium in der Diaspora lebt und überlebt, sei eine Gefährdung des eigentlichen Volkes, so das Kredo nicht zuletzt der Schriften Blühers. Jay Geller schreibt dazu: "Since the state was understood as the objectification of a 'civilized' people (a Kulturvolk as opposed to a Naturvolk), the survival of the stateless Jews threatened the legitimacy of the colonizer state." (Die Aberkennung der eigentlichen Staatsangehörigkeiten nach der Machtübernahme der Nazis in Deutschland sowie nach dem "Anschluss" in Österreich wurde ja auch innerhalb kürzester Zeit vollzogen, und Juden und Jüdinnen wurden als Staatenlose mit Fremdenpässen versehen.) Blüher fand, dass Frauen wie Juden nicht zur Teilhabe an einem Staat befähigt seien. Er bezog sich dabei auf das Feindbild des vom Weiblichen beherrschten Judentums und attestierte den Juden eine "Männerbundschwäche".

Ausführlicher noch wird die Gefahr einer Aufhebung der biologischen Sexualdifferenz, einer Verwischung zwischen Männern und Frauen beschrieben, die dann in die Metaphern antisemitischer Vermischungsphobien innerhalb "deutsch-jüdischer Assimilation" mündet. Blüher forcierte eine ideale (deutsche) Männlichkeit, einen "Nationaltypus", dem er die Aufgabe zuschrieb, das Chaos der Vermischung zu verhindern und die Gesundheit des Staates zu erhalten.

Einen Weg zur Verwirklichung dieses mann-männlichen Ideals sah er in der Jugendbewegung des Wandervogels. Mit seinen 1912 veröffentlichten Bänden Wandervogel. Geschichte einer Jugendbewegung avancierte er zu einem der meistgelesenen Schreiber der Jugendbewegung. Für Furore sorgte er mit dem dritten Band: Die deutsche Wandervogelbewegung als erotisches Phänomen. In diesem propagiert er den mann-männlichen Eros als das tragende Substrat, das der Transformation und Initiation der jungen Männer in den Männerbund dient. Mehr und mehr grenzte er sich von Freud, mit dem er in Briefkontakt war, ab und versuchte anhand damals aufkommender anthropologischer Analysen männerbündische Strukturen, ihre Initiationsriten und erotischen Komponenten in den Kontext einer libidinösen Grundlage aller homosozialen Gemeinschaften – also auch des Staates – zu transferieren. Einen besonderen Stellenwert nahm der Krieg als eine eben diese homoerotischen Bünde produzierende ekstatische Maschine ein.

In diesem Zusammenhang erscheinen die Vergeschlechtlichungen von Nationalstaat und Zugehörigkeit zu einer Nation in einem anderen Licht: Werden auf der einen Seite nomadisierende Subjekte als Gefährdung angesehen (vgl. jüdische Diaspora, Migration im Allgemeinen, oder auch die Situation von Roma und Sinti), so kommt es auf der anderen zu klaren genderspezifischen Zuschreibungen. Dies findet sich nicht zuletzt im Diskurs um die österreichische Opferthese wieder. So schreibt Rudolf Burger 2004: "Denn die lange Zeit staatstragende Ideologie von der Neugeburt Österreichs aus dem Geiste des Opfers, die Viktimisierungsthese, wonach das kleine, schwache Land zu seiner wahren Identität erst gefunden habe im Akt einer Vergewaltigung durch das starke Deutschland, schuf – abgesehen von ihren staatspolitischen Meriten – jene wenig erfreulichen, neurotisch-effeminierten Züge des konzeptuellen Nationalcharakters, die für die ästhetische und moralische Selbstdarstellung der Zweiten Republik so charakteristisch wurden und jeden ausländischen Betrachter peinlich berühren." Und weiter, Bezug nehmend auf die Neutralitätsdiskussion: "'Das kleine neutrale Land', das war keine trockene Information über einen geografischen Sachverhalt, sondern eine Selbsteffeminierungs- und Selbstinfantilisierungsformel, […]." Spannend wäre es wohl, zu sehen, was Burger zu einer österreichischen Geschichtsschreibung beitragen würde, die sich – im Gegensatz zu einem "neurotisch-effeminierten" Opferstatus – als Nazi-Nachfolgestaat begreift und die männerbündisch-militärischen Zusammenhänge zu analysieren gewillt ist. Stattdessen bastelt Burger an einer inhärent sexistischen Konnotation der Neutralität des österreichischen Staates.

Aber auch in den Diskussionen um den israelischen Staat finden sich zahlreiche Anknüpfungspunkte im Bereich der Queer-Theorie. Alisa Solomon liefert in ihrem Artikel "Viva la Diva Citizenship" eine Analyse dieser Bezeichnungspraxen: "The Jewish movement for expressing territorial nationalism was […] a means of remaking the image of the pasty, degenerate, sissy – that is, queer – Juden of Europe as the powerful, dominant – that is, sexually normative – Muskeljuden of their own romantic homeland." Dieser genderrelevante Kulturkampf entbrannte u.a. in den Diskussionen um den Sieg der transsexuellen Dana International beim Eurovision Song Contest 1998. Nicht nur war die israelische Künstlerin mit alten europäischen Antisemitismen konfrontiert (europäische Journalisten meinten etwa, Yaron Cohen – ihr früherer Name – wäre mit der Beschneidung etwas zu weit gegangen), sondern sie wurde in Israel auch wegen ihrer Performances in arabischer Sprache kritisiert.

Der israelische Künstler Adi Nes bearbeitet in seinen Fotografien männliche, soldatische Gemeinschaft unter dem Aspekt der Homoerotik und des Muskeljuden. Die Widersprüchlichkeit und auch die Kontroverse, die damit zu Tage tritt, haben genau mit der Verquickung strukturell homophober, sexistischer und antisemitischer Strukturen zu tun. Mit seinen Arbeiten dekonstruiert er diese unterschwelligen Bezeichnungspraxen und ermöglicht einen kritisch-queeren Blick auf sie. Hier zeigt sich eine Parallelität zum Phantasma einer staatsstiftenden Männlichkeit, die insbesondere im Kontext des Militärs produziert wird.

Die Kontinuitäten dieser genderspezifischen Bezeichnungspraxen finden sich also wieder in den diversen, zu differenzierenden Kontexten. Sie erweisen sich aber auch als eine Form anhaltender Diskriminierungstaktiken, die darauf abzielen, Subjekte zu erzeugen, die wiederum in die hegemonialen Strukturen eingeschlossen oder ausgeschlossen werden. Inwieweit eine Analyse dieser Taktiken auch für einen politischen Anti-Antisemitismus von Bedeutung sein kann, wäre im Verhandlungsraum konkreter Allianzenbildung zu überprüfen.


Literatur

Ulrike Brunotte, Zwischen Eros und Krieg. Männerbund und Ritual in der Moderne, Berlin: Wagenbach 2004

Jay Geller, "Freud, Blüher, and the Secessio Inversa: Männerbünde, Homosexuality, and Freud's Theory of Cultural Foundation", in: Daniel Boyarin, Daniel Itzkovitz, Ann Pellegrini (Hg.), Queer Theory and the Jewish Question, New York: Columbia UP 2003

Rudolf Burger, "Kultur als Ersatz und Ressentiment", in: Die Presse, 4.10.2004

Alisa Solomon, "Viva la Diva Citizenship: Post-Zionism and Gay Rights", in: Daniel Boyarin, Daniel Itzkovitz, Ann Pellegrini (Hg.), Queer Theory and the Jewish Question, a.a.O.


Marty Huber ist Performancetheoretikerin und Dramaturgin, queere Aktivistin (Rosa Lila Tip) und lebt in Wien.