Lang lebe Franz v. Assisi!

Kritische Bemerkungen zu Chantal Mouffes Beitrag Exodus oder Stellungskrieg? in Kulturrisse 01/04.
"Wipe away transgression,
Set the captives free."
Bob Marley – "Exodus"

Kritische Bemerkungen zu Chantal Mouffes Beitrag Exodus oder Stellungskrieg? in Kulturrisse 01/04

Wipe away transgression,
Set the captives free.

Bob Marley – "Exodus"

Chantal Mouffes Text stellt eine äußerst ideologische Intervention in die Auseinandersetzung um die Zukunft der globalisierungskritischen Bewegung dar (ihre Bezeichnung "Antiglobalisierungsbewegung" werde ich in Folge nicht verwenden, sie stellt ein nicht zu machendes Zugeständnis an die herrschende Ideologie dar, die alle, die nicht für sie sind, zu Gegenteilen – "anti-" – ihrer eigenen Denkungsart stempelt). Bereits ihre Ausgangshypothese, die Fragen nach dem "Typus der Artikulation" und nach der "Beziehung, die zu Parteien, Gewerkschaften und anderen bestehenden Institutionen aufgebaut werden soll" stellten die "zwei entscheidende[n] Themen für die Antiglobalisierungsbewegung" dar, ist durchaus anzweifelbar: Erstere Frage ist, obgleich entscheidend, eine bzw. die Frage jeder politischen Bewegung im Kampf um gesellschaftliche Hegemonie, die zweite meines Erachtens so nicht zu stellen: "Andere bestehende Institutionen" (welche?) waren seit jeher Teil der Bewegung (wie z.B. NGOs oder ATTAC), und auch Parteien und Gewerkschaften respektive deren Mitglieder und auch FunktionsträgerInnen stellen seit Beginn einen Teil der Bewegung dar. Parteien und Gewerkschaften sind also nicht ein Außen, dem gegenüber "die Bewegung" Beziehungen auf- oder abzubauen hätte, sondern immanenter Teil der Bewegung – mit all den Problemen, die das mit sich bringt. Die Frage wäre doch die, inwieweit sich diese Institutionen als Institutionen kraft ihrer gesellschaftlichen Macht als Teile der Bewegung artikulieren und nicht zuletzt auch versuchen, diese zu vereinnahmen. Aber dies ist nur ein Nebenschauplatz.

Der ideologische Gehalt der Mouffe’schen Artikulation offenbart sich vielmehr in der Art und Weise, in der sie die Beteiligten an diesem Konflikt darstellt und analysiert. Insbesondere geht es mir hierbei nicht um ihre billige und ungenaue Abqualifizierung der "traditionellen Ultralinken", "wie sie von den Trotzkisten repräsentiert wird", sondern um Mouffes Präsentation der beiden Opponenten, die ich – zugegebener Maßen verkürzend – "Multitude" und "PolitikerInnen" benennen möchte. Um es kurz zu machen: Mouffe tut neutral, stellt sich aber eindeutig auf die Seite der "PolitikerInnen". Das wäre an sich auch nicht verwerflich, die konstruierte Frontstellung der beiden Parteien jedoch ist meines Erachtens unzulässig. Die Seite "Multitude", von Mouffe in fast schon leninistisch anmutender Weise als Linksradikale skizziert, weise alle "liberal-demokratischen Ausformungen von Politik" als "reaktionär" zurück, verdamme "jede Aufwertung des Lokalen [...] als regressiv und faschistisch" (sic!), wolle immer nur "deterritorialisieren" und wird auch sonst mit allerlei postmodernen Attributen versehen, die den Schluss nahe legen, "Wunschmaschinen" seien die Waschvollautomaten der frommen Wünsche jener, die sich um wirklich ernsthafte Politik nicht kümmern wollen (am Ende gar "die Internetgeneration"?!). Das Prinzip "Exodus" wird lediglich als Verweigerungshaltung interpretiert, nicht als ein direktes Politisch-Werden des Lebens selbst, ein Politisch-Werden gegen die repräsentative Verwaltungstätigkeit des "Blocks an der Macht" (Poulantzas). Auch der anderen Gruppe, den "PolitikerInnen", attestiert Mouffe die Vermeidung der "Frage nach dem Politischen", präsentiert uns allerdings keine andere Alternative als – "die liberal-demokratischen Ausformungen von Politik", gewürzt mit einer kleinen Prise Gramsci.

Mouffe vermeidet mit allen Mitteln die theoretische Auseinandersetzung, um die es in der Bewegung der Bewegungen tatsächlich geht oder doch zumindest gehen sollte: eine linke Antwort auf die Transformation des Politischen, der Repräsentation und Souveränität des Staates und seiner Institutionen. Als ob die Bewegung selbst nicht gerade aus jener und gegen jene Transformationsbewegung sich herausentwickelt hätte und noch immer ihre Kraft schöpfen würde; als ob die Bewegung nicht genau in jener historischen Konstellation situiert wäre, die auch den Grund für den Erfolg von Empire darstellt; als ob wir tatsächlich dort weitermachen könnten, wo die Kommunistische Partei Italiens sich (fast) ins Nichts aufgelöst hat; als ob "wir", als neue Bewegung, die sich gerade durch ihre Mannigfaltigkeit auszeichnet, so weitermachen könnten und wollten wie bisher. Im Gegenteil, ich würde meinen, der Bedeutungsverlust der traditionellen Parteien, der Gewerkschaften und der (national)staatlichen (Rechts)Form muss vielmehr als Chance einer Neuerfindung von Politik gesehen werden, jede Ressourcenbindung an lebensverlängernde Maßnahmen für das modernistische Auslaufprojekt wäre fehl am Platz.

Inhaltlich wird der Leserin des Textes von Chantal Mouffe nicht mehr angeboten als eine - ich bin versucht zu sagen: klassisch-moderne - Synthese von Bewegung und Institution. Ab und an - wenn´s hegemonialen Mehrwert verspricht - kann´s da durchaus mal darum gehen, "lokale und regionale Bindungen" zu stärken, wenngleich auch mittels "vielfältige[r] Strategien". Bevor wir dieses "Potenzial" (welches eigentlich? Patriotismus? Heimatliebe?) "der Artikulation rechtsgerichteter DemagogInnen [...] überlassen", sollten wir uns selbst daran machen, diese "affektive Dimension" zu mobilisieren. Nein! Das überlassen wir dann doch lieber dem Österreichischen Gewerkschaftsbund. Der soll der widerlichen nationalistischen Abschottungspolitik eines Bartenstein applaudieren. Der Stellungskrieg aber ist in diesem Fall gegen den ÖGB zu führen. Wo immer auch GlobalisierungskritikerIn sich konkret positionieren mag, vor die Wahl zwischen rechtem und vermeintlich "linkem" Populismus sollten wir uns erst gar nicht stellen lassen.

Übrigens: Auch Toni Negri geht es um vieles, sicherlich aber nicht um eine "Strategie der Verweigerung" (außer vielleicht gegenüber antiquierten "liberal-demokratischen Ausformungen von Politik"). Dann lieber gleich Kommunismus. Und das mit Reinheit und Unschuld war doch eh nur ein Scherz. Nur wenn´s pädagogisch wird, kennen wir – die Multitude – kein Pardon.


Martin Birkner ist Redakteur der "grundrisse. zeitschrift für linke theorie & debatte" und lebt in Wien.