Fernsehen zum Auf- und Abdrehen

Im Herbst 2005 startet in Wien das erste ganz andere Fernsehen Österreichs. Interessierte aus allen kulturellen und gesellschaftlichen Bereichen werden die Berichterstattung über ihre eigenen Themen selbst in die Hand nehmen. Was von Deutschland über die Niederlande und von den USA bis Australien seit teilweise mehr als zwei Jahrzehnten Teil des medialen Alltags ist, wird endlich auch in Österreich möglich.

Im Herbst 2005 startet in Wien das erste ganz andere Fernsehen Österreichs. Interessierte aus allen kulturellen und gesellschaftlichen Bereichen werden die Berichterstattung über ihre eigenen Themen selbst in die Hand nehmen. Was von Deutschland über die Niederlande und von den USA bis Australien seit teilweise mehr als zwei Jahrzehnten Teil des medialen Alltags ist, wird endlich auch in Österreich möglich. Ein partizipatives Fernsehprojekt, das – von der Stadt Wien mit einer Grundsubvention für drei Jahre ausgestattet – FernsehmacherInnen und Programminitiativen neben der tatsächlichen Distributionsmöglichkeit auch Produktionsmittel, Infrastruktur, Raum und Knowhow anbietet. Zur Teilnahme eingeladen sind vor allem Menschen, die mit ihren Themen, Anliegen oder ästhetischen Ausdrucksformen in den Medien des ersten (öffentlich-rechtlichen) und zweiten (privat-kommerziellen) Sektors aufgrund des dort herrschenden kommerziellen Drucks wenig bis kaum Beachtung finden.

Eine kurze Geschichte des Projekts

Wien hat mit Radio Orange 94.0 eines der erfolgreichsten freien Radios im deutschsprachigen Raum. 500 ehrenamtliche NutzerInnen machen ihr eigenes Programm. Grund genug, dies auch mit Fernsehen zu versuchen. Als eines der 23 rotgrünen Projekte wurde nach der letzten Gemeinderatswahl die Schaffung eines freien Fernsehkanals im Kabel-TV ins Auge gefasst. Um die Möglichkeiten und Chancen abschätzen zu können, wurde im Jahr 2002 vom Presse- und Informationsdienst der Stadt Wien eine Studie zur praktischen Umsetzung des Offenen Fernsehkanals Wien in Auftrag gegeben. Mit dem Herausgeber Johannes Schütz vom Verein offene Kanäle Österreichs und den beiden Autoren Alf Altendorf, ehemals geschäftsführender Gesellschafter bei T.I.V., und Robert Stachel, der u.a. bei UTV, dem Campus-TV der Universität Wien, aktiv war, ging der Auftrag an drei Experten mit so unterschiedlichen Kompetenzen und Vorkenntnissen, dass das Feld von verschiedensten Seiten sondiert werden konnte. Neben dem Potenzial an möglichen NutzerInnen wurden auch die Vor- und Nachteile verschiedener anderer Modelle im europäischen Umfeld erhoben und festgestellt, dass es für Wien gelingen muss, ein ganz eigenes Modell zu entwickeln, mit dem sich etwa diverse Problematiken der klassischen offenen Kanäle in Deutschland vermeiden lassen.

Herausgeber und Projektleitung

Nach einem gescheiterten Versuch, der im Laufe des Jahres 2002 ins Stocken geratenen Realisierung durch die Gründung eines ProponentInnenkomitees näher zu rücken, wurde das Projekt eines der zentralen Themen des Mediencamps, das im Sommer 2003 am Karlsplatz statt fand. Im Spätherbst desselben Jahres betraute die Stadt schließlich ein prominentes ExpertInnengremium mit der Umsetzung. Der im Anschluss gegründete Verein zur Gründung und zum Betrieb Offener Fernsehkanäle Wien bestand zu diesem Zeitpunkt aus Thomas Bauer, Professor für Publizistik an der Universität Wien, Astrid Zimmermann, Journalistin und Vorsitzende der Journalistengewerkschaft, dem Publizisten Peter Huemer, Falter-Herausgeber Armin Thurnher, der Filmtheoretikerin und Diagonale-Intendantin Birgit Flos, dem Filmemacher Virgil Widrich, der Geschäftsführerin des Avantgardefilmverleihs Sixpack Brigitta Burger-Utzer und Christian Jungwirth, Obmann des Herausgebervereins von Radio Orange. Dem Gremium wurde die Aufgabe übertragen, einerseits die umfassende Unabhängigkeit des Projekts zu gewährleisten und andererseits als Vermittlungsinstanz zwischen den verschiedenen Anspruchsgruppen zu fungieren.

Der Stadt als Subventionsgeberin wurde in dieser Konstruktion als einzige Einflussmöglichkeit im Rahmen der Entscheidungsfindung ein begründetes Veto bei der Besetzung des Geschäftsführers eingeräumt. Der ehrenamtliche Vereinsvorstand erarbeitete – auf der Grundlage der erwähnten Studie – seine eigenen Vorstellungen für ein solches Projekt und beantragte schließlich die Finanzierung. Im September 2004 wurden die beiden Projektleitungspositionen der Geschäftsführung und der Programmintendanz ausgeschrieben. Nach zehn Hearings und vielen, dem Vernehmen nach durchaus kontroversiellen Diskussionen im Vorstand standen Anfang November zwei Kandidaten für die Geschäftsführung in der Endrunde. Für die Programmintendanz ging der Vorstand aktiv auf mögliche weitere KandidatInnen zu. Nach drei weiteren Hearings wurden schließlich Ende November 2004 Barbara Eppensteiner als Programmintendantin und Christian Jungwirth, der seine Funktion im ExpertInnengremium im Sommer 2005 zurückgelegt hatte, als Geschäftsführer bestellt. Nach Lösung ihrer bestehenden beruflichen Verpflichtungen konnte das Leitungsteam des TV-Projekts im Jänner bzw. Februar dieses Jahres mit der Aufbauarbeit beginnen.

Vom Stand der Dinge

Die derzeit vordringlichsten Arbeiten sind die Standortsuche für die technische und organisatorische Infrastruktur und die letzten Schritte zur Gründung einer gemeinnützigen Ges.m.b.H., die als Tochtergesellschaft des Herausgebervereins und als künftige Medieninhaberin für die Abwicklung des operativen Betriebes verantwortlich zeichnen wird. Beides soll in den nächsten Wochen abgeschlossen sein. Parallel dazu laufen Recherchen zur Klärung der optimalen technischen Infrastruktur, Verhandlungen mit UPC und Telekabel Wien über einen Kabelplatz, Gespräche mit Puls TV zur Einrichtung eines terrestrischen Fensters und die ersten Bewerbungsgespräche zur Besetzung der technischen und organisatorischen Crew. Lauter Arbeiten also, die wenig spektakulär sind und faktisch keine Beteiligungsmöglichkeiten bieten. Diese zu entwickeln und zu kommunizieren wird Aufgabe des unmittelbar vor der Umsetzung stehenden Kommunikationskonzepts sein, das sich einerseits das ehrgeizige Ziel maximaler Transparenz setzt und andererseits ganz banal möglichst viele in Wien lebende Menschen erreichen und mit der Gelegenheit, ihr Fernsehen selbst zu gestalten, vertraut machen will.

Das "community TV Wien", so der Arbeitstitel des Projekts will ganz bewusst kein offener Kanal sein, dem Inhalte und Qualität der Programme und damit letztlich auch die ProgrammmacherInnen "wurscht" sind. Wir wollen im Gegenteil den Anspruch, als Komplementärmedium zu funktionieren, gern auf mehreren Ebenen einlösen. Einfach scheint die Übung auf inhaltlicher Ebene: Angesichts der aktuellen Entwicklungen kommerzieller elektronischer Medien, all dem "more-of-the-same", der faktischen Inexistenz migrantischer Communities in den österreichischen Fernsehprogrammen und dem sukzessiven Verschwinden von Kunst, Kultur und Politik, tut sich hier ein weites Feld auf. Es inhaltlich besser zu machen, ist also keine große Kunst. Weit komplexer und damit auch anspruchsvoller in bezug auf konkrete Lösungsansätze stellen sich Bereiche wie die Balance zwischen Offenheit und Chancengleichheit, die Schaffung von Zugängen und Voraussetzungen, Fragen der Qualität oder der konkreten Ausgestaltung des Programms dar. Dabei gibt es zu einigen Punkten schon recht konkrete Ideen, zu anderen erst Rahmenvorstellungen. Den Praxistest haben sie alle noch vor sich.

Was in den nächsten Monaten wesentlich sein wird, ist einerseits die schon erwähnte breite Kommunikation des Projekts und seiner Möglichkeiten und andererseits das aktive Zugehen auf die Menschen und Communities, deren Beiträge uns besonders wichtig sind. Um gleiche Zugänge und Voraussetzungen zu gewährleisten und um den kommunizierten Anliegen tatsächlich Gehör (oder eigentlich Gesehenwerden) zu verschaffen, könnten die – in der Studie von Robert Stachel empfohlenen und erarbeiteten – programmplanerischen Strukturkriterien eine gute Ausgangsbasis bieten. Denn erstens schafft erst das optimale Sendeumfeld für (möglichst) jede Sendung die Bedingungen für eine wirklich demokratische Kommunikation, und zweitens tragen erkennbare Strukturen, indem sie Orientierung ermöglichen, auch auf RezipientInnenseite einiges zum Erfolg des Fernsehens bei.

Neben den Ideen, wie etwa eine Schienenstruktur dazu beitragen könnte, dass die einzelnen Programme und ihre sicher oft recht spezifischen Zielgruppen optimal zueinander finden, ist auch der Umgang mit der Forderung nach "einer gewissen Qualität" (zu der wir im übrigen absolut stehen) sehr spannend. Lassen sich doch Kriterien, nach denen diese zu beurteilen wäre, bei einem Medium im dritten Sektor, dessen Programmschöpfung unentgeltlich erfolgt, niemals abstrakt fest legen. Diskussionen, in denen es um Qualität geht, müssen im Gegenteil immer ganz konkret und mit Blick auf die Produktionsumfelder, die Produktionsunterstützung durch das Medium selbst und nicht zuletzt auch auf die individuellen Produktionsbedingungen, unter denen die ProgrammmacherInnen arbeiten, geführt werden (Dank an Thomas Thurner für diesen Input).

Insofern kommt dem Workshop- und Schulungsbereich wesentliche Bedeutung zu. Auszuarbeiten ist ein modulares System, das einerseits die für alle notwendigen Basics (wie Medienrechtseinschulungen und das nötige Knowhow zum Umgang mit der Produktionstechnik) anbietet und andererseits verschiedene spezifische Angebote macht, über die sowohl einzelne Communities angesprochen, als auch neue und eigenständige, den zu kommunizierenden Inhalten adäquate ästhetische Praxen entwickelt werden können. Hier werden wir mit neuen Konzepten, in denen das voneinander Lernen im Vordergrund steht, arbeiten und hoffen, so möglichst von Anfang an auch Kommunikationsangebote zwischen den verschiedenen FernsehmacherInnen zu setzen.

Ein partizipatives Medium ist durch die offene Möglichkeit der Teilhabe an gesellschaftlicher Kommunikation eine demokratie- und kulturpolitisch per se wesentliche Einrichtung. Um Demokratie auch im gesamten Produktions- und Sendeumfeld lebbar zu machen, bedarf es allerdings strukturell verankerter Mitbestimmungsmöglichkeiten, die so beschaffen sind, dass sie Menschen mit weniger Zeit und Ellbogen nicht von vorn herein benachteiligen. Eine der Herausforderungen in Bezug auf die demokratische Qualität des Projekts besteht also darin, solche Strukturen zu schaffen. Hier streben wir etwa möglichste Transparenz bei allen wichtigen Entscheidungen an und wollen gemeinsam mit den NutzerInnen eine gut funktionierende interne Kommunikations- und eine einfach zu durchschauende Gremienstruktur aufbauen.

Damit sollte es gelingen, einen medialen Raum zu schaffen, an dem Auseinandersetzung über diverse gesellschaftlich relevante Themen und Bereiche produziert und veröffentlicht wird, an dem also Öffentlichkeit, dieses in Österreich seit jeher nur rudimentär vorhandene und daher umso kostbarere Gut, tatsächlich stattfindet.


Barbara Eppensteiner arbeitet seit Anfang Februar am Aufbau eines Community-Fernsehens für Wien mit. Barbara Eppensteiner arbeitet seit Anfang Februar am Aufbau eines Community-Fernsehens für Wien mit.