2011: Europäisches Jahr des Pfusches
Kunst und Kultur rechnen sich nicht. Daher muss dauernd öffentliches Geld in den Sektor gepumpt werden. Wenn auch das nicht reicht, braucht es weitere Quellen. Und schon sind wir beim Europäischen Jahr des freiwilligen Engagements, denn wie in allen arbeitsintensiven Sektoren sind auch im Kulturbereich die Lohnkosten das größte Problem.
Kunst und Kultur rechnen sich nicht. Daher muss dauernd öffentliches Geld in den Sektor gepumpt werden. Wenn auch das nicht reicht, braucht es weitere Quellen. Und schon sind wir beim Europäischen Jahr des freiwilligen Engagements, denn wie in allen arbeitsintensiven Sektoren sind auch im Kulturbereich die Lohnkosten das größte Problem. Und nachdem in diesem Feld ohnehin schon ein großer Anteil der Arbeit unbezahlt geleistet wird, hat das natürlich Potenzial, denken wir nur an die Heerscharen von volunteers, die in US-amerikanischen Kulturinstitutionen arbeiten. Und das auch noch gerne (anstatt zu stressen wie die VigilantInnen in den steirischen Museen, vgl. Kulturrisse 01/07).
Dabei werden aber entscheidende Faktoren übersehen – wobei es nicht nur darum geht, dass die KulturarbeiterInnen zu wenig Reibach machen, sondern auch um die Professionalität eines Sektors und langfristige Kosten. Vieles, was zurzeit im Kulturbetrieb als ehrenamtliche Tätigkeit erbracht wird, ist Selbstausbeutung, also hochprofessionell erbrachte Arbeit, die nicht bezahlt wird. Genauso, als würde ich die Rechnung meiner Notarin einfach ignorieren oder ihr nur einen Bruchteil zahlen. Und viele können sich diese Art des Ehrenamtes leisten, weil sie z.B. in einer Institution geringfügig beschäftigt sind und so zumindest eine – eben geringfügige – Lebensbasis haben. Werden diese Jobs nun durch ehrenamtliche MitarbeiterInnen ersetzt, so wird dem Bereich insgesamt ein mehrfacher Schaden zugefügt: Vielen KünstlerInnen wird ihre Minimalsicherung entzogen, die projektorientiertes Arbeiten überhaupt erst ermöglicht. Szenenahe Personen werden durch wohl gesonnene DilettantInnen ersetzt, mitunter das schlimmste, was einer Institution passieren kann. Im schlimmsten Fall werden hochqualifizierte Tätigkeiten durch enthusiastischen Pfusch ersetzt.
Dabei soll nicht gegen ehrenamtliche Tätigkeiten im Kulturbetrieb und allen übrigen Bereichen der Gesellschaft gewettert werden – aber der Teufel steckt, wie meist, im Detail. Es sind konkrete Fragen zu stellen, wie z. B.: Welche Tätigkeiten sollen warum im Ehrenamt erbracht werden? Wer interessiert sich warum für solche Tätigkeiten? Und was bedeutet Ehrenamt als Ersatz für bezahlte Arbeit für den Sektor und für die gesamte Gesellschaft?
Um diese Fragen zu beantworten, muss das Rad nicht neu erfunden werden; es gibt ja Länder mit Erfahrungen in diesem Bereich. Etwa das Vereinigte Königreich, wo ehrenamtliche MitarbeiterInnen u. a. Krankentransporte, Kinderbetreuung und Ausstellungsorganisationen unterstützen. Das hat Vorteile, wie z. B. dass pensionierte, aber noch arbeitsfähige und -willige Personen nicht aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden und ihr „Humankapital“ nicht verschwendet wird. Das bringt Probleme mit sich, wie z. B. dass es schwieriger ist, eine/n kurzfristig ausgefallene/n ehrenamtliche/n MitarbeiterIn zu ersetzen, als das gleiche Problem in einem professionellen, auf Lohnarbeit beruhenden Betrieb zu lösen. Oder auch, dass die Personalführung anders erfolgen muss, da diverse Druckmittel entfallen. Das hat üblicherweise kulturelle und traditionelle Voraussetzungen, die in anderen kulturellen Zusammenhängen schwer zu imitieren sind (etwa in Österreich mit einer starken staatlichen und einer schwachen zivilgesellschaftlichen Tradition). Das hat schließlich gesamtgesellschaftliche Folgen, z. B. die weitere Verdrängung von Frauen aus dem regulären Arbeitsmarkt in unbezahlte Tätigkeiten.
Und schließlich sollte nicht vergessen werden, dass das Ehrenamt jedenfalls auf Freiwilligkeit beruht. Woraus folgt, dass das unfreiwillige „Ehrenamt“, also die Selbstausbeutung, bezahlt werden muss. Und zwar adäquat und sofort.