Die Rolle der Opposition ist bereits besetzt

Tatsächlich ist der Umbau, der derzeit hierzulande von statten geht, nicht die 1:1-Übertragung britischer Verhältnisse nach Österreich. Dafür gibt es mehrere signifikante Gründe.

Der Text von Chantal Mouffe, der diesen Kulturrissen den Auftakt gibt, geht davon aus, dass der Thatcherismus nun auch in Österreich angelangt sei. Auf dieser These vom "Austro-Thatcherismus" baut sie ihre Analyse über die Ursachen einer fehlenden Opposition auf. Tatsächlich aber ist der Umbau, der derzeit hierzulande von statten geht, nicht die 1:1-Übertragung britischer Verhältnisse nach Österreich. Dafür gibt es mehrere signifikante Differenzen.

So hat mindestens eine der beiden Regierungsparteien - und das ist nicht unbedingt jene, die den Koalitionskurs nicht prägen würde - ein durchaus ambivalentes Verhältnis zum Neoliberalismus: Denn einerseits sucht sie, den Wohlfahrtsstaat aufzulösen, andererseits entwirft sie ihn in einer eigenen Variante neu. So oszilliert sie etwa zwischen der Zerschlagung aller Interessenvertretungen und der Einführung eines sogenannten "Kindergeldes". Dies ist kein (rein) neoliberaler Kurs, der das Individuum in die "Freiheit" des Marktes entlässt. Es ist vielmehr der Kurs einer paternalistischen Sozialpolitik, deren spezifischer "Protektionismus" in der betrieblichen Ethik eines Frank Stronach etwa durchschlägt. Das Ziel dabei ist nicht das Individuum als neoliberaleR UnternehmerIn seiner/ihrer selbst, sondern der "behütete", das heißt der neu eingebundene, Volksgenosse. (Solche Konzeptionen einer "betrieblichen Sozialpolitik" wären zwar Programm der Nationalsozialisten gewesen - so der Historiker Bertrand Perz -, ihre Wurzeln reichen aber ins deutschnationale Lager des 19. Jahrhunderts zurück.)

In Österreich herrscht keine "unhinterfragte Hegemonie des Neo-Liberalismus" vor, wie Chantal Mouffe mit Blick auf Großbritannien behauptet. Diese ist vielmehr erst dabei, sich zu etablieren - auf eine gleichzeitig tollpatschige und erfolgreiche Art und Weise. Tollpatschig, insofern der Kurswechsel eben durchaus ambivalent ist (was dazu führt, dass Vorschläge unterbreitet und sofort wieder zurückgezogen, Reformen gemacht und gleich wieder revidiert werden). Erfolgreich aber ist er dort, wo es gelungen ist, das "ideologische Terrain", von dem Chantal Mouffe spricht, herzustellen als jenen Boden, auf dem sich auch die Opposition bewegt. Daß etwa der Glaubenssatz vom "Nulldefizit" ein solch es darstellt, ist mittlerweile ein Gemeinplatz.

Natürlich hat Chantal Mouffe recht, wenn sie meint, dass der erste Schritt einer Opposition darin bestehen muss, solch ein vorgegebenes Terrain zu verlassen. Schwieriger wird die Sache dort, wo dieser Schritt im allgemein erhobenen Ruf nach einem "Alternativ-Projekt" mündet. Denn dabei gibt es zwei - zusammenhängende - Probleme.

Zum einen haben alle Gegenentwürfe zur Deregulierung damit zu kämpfen, dass sie - in der einen oder anderen Form - an jenem Wohlfahrtsstaat hängen, der die Grundlage des Nachkriegskonsenses war. Solch eine rückwärtsgewandte, "bewahrende" Position leidet natürlich an einem: an mangelnder Attraktivität.

Und darin liegt eben das zweite Problem aller Rufe nach Alternativprojekten: Diese sind symptomatisch und in einem spezifischen Sinne leer. Wobei präzisiert werden muss, worin das Manko genau besteht. Es fehlt nicht sosehr an sachlichen Alternativvorschlägen oder an profunden Analysen. Aber all dies macht noch kein Projekt aus. Dazu bedarf es auch eines appellativen Moments. Der Ruf nach einem Alternativprojekt ist immer auch der Ruf nach einem neuen Imaginären - darüber darf man sich nicht täuschen. Dessen ist die Linke nämlich verlustig gegangen, ohne diese Lücke wieder schließen zu können. Und die Einzigen, denen dies zurzeit zu gelingen scheint, sind offenbar die Rechten. (Auch dies natürlich ein Gemeinplatz.)

Daraus folgt in Bezug auf die österreichische Situation zweierlei:

Erstens wird die Rechte nicht - wie Chantal Mouffe meint - als "moralischer Feind" verkannt. Es ist vielmehr so, dass sie "moralische" Positionen besetzt hat. Oder, anders gesagt: Der radikalen Rechten in Österreich ist es gelungen, ihre politische Position in öffentliche "Moralvorstellungen" umzuwandeln. Darin besteht ihr größter Erfolg: Sie hat - und sie ist weiterhin dabei -, das symbolische Dispositiv der Zweiten Republik, jene "Leidenschaften, die ein Regime bewegen", neu bestimmt.

Nun ist es aber so, dass sich dieses Dispositiv - ob man will oder nicht - von der nationalsozialistischen Erfahrung her konstituiert hat. Das Problem dabei ist jedoch, dass die entsprechende Subjekt-Position lange Zeit nicht wirklich eingenommen worden ist. Die Geschichte der zweiten Republik ist geprägt von einer beständigen Nicht-Entsprechung zwischen symbolischem Dispositiv und kollektiver Identität - eine ungewöhnliche Konstellation.

Die haidersche Politik setzt genau an diesem Punkt an: Sie versteht sich selbst als die Umschreibung der Nachkriegsgeschichte als jene einer fremd installierten Herrschaft, deren Fremdheit es jetzt abzuwerfen gelte. Normativ ist das Unsinn, aber faktisch wird es gestützt durch die mangelnde subjektive Übernahme. Diese offene Kluft wollen die Freiheitlichen von Seiten des Dispositivs schließen - indem sie dieses neu ordnen. Was aber Not tun würde, wäre die Auflösung der Diskrepanz von der anderen Seite - vom Subjekt.

Zweitens steht die derzeitige Opposition vor dem Problem, dass die Freiheitlichen ihr Imago geprägt haben, indem sie die ihnen zugewiesene Position abgelehnt haben: Sie haben ihre Rolle als Opposition selbst definiert - eben nicht als RepräsentantInnen, sondern als unmittelbarer Teil des Volkes. Und die Freiheitlichen haben diese ihre Definition als Opposition nicht auf einen Status außerhalb der Regierung beschränkt. Jede nachfolgende Opposition hat daher das Problem, dass diese Rolle bereits besetzt ist und sie die Position neu entwerfen muss. Und jede hergebrachte Rollenbesetzung sieht dabei "alt" aus. (Die SPÖ steht dabei überhaupt vor dem Problem, dass sie in der Opposition noch Regierung zu sein scheint.) Ein hoher Gewerkschaftsfunktionär hat das jüngst auf den Punkt gebracht: "Wenn wir polarisieren," sagte er, "dann übernehmen wir deren Art von Politik. Wir wollen nicht polarisieren. Wir wollen den Konsens" - auch wenn man dabei über den Fehdehandschuh vor den eigenen Füßen stolpert.

Isolde Charim ist Publizistin und Philosophin, lebt in Wien.