Städtische Eigenlogiken und Aufwertungsprozesse

Der Aufwertungsprozess im Karmeliterviertel in Wien begann Anfang der 1990er Jahre. Während dieser Zeit zogen die ersten KünstlerInnen zu, wobei vor allem die günstigen Mieten in Kombination mit Standortvorteilen sowie die Vielfalt an sozialen Realitäten, die ein anregendes Umfeld darstellten, ausschlaggebend waren. Parallel zur baulichen Erneuerung entwickelte sich eine neue Lokalszene am und um den Markt. Dadurch veränderte sich das Image des Viertels, und aufgrund der steigenden Nachfrage seitens der GentrifierInnen stiegen schließlich die Preise für Wohnraum.

Namen von Städten rufen Images im Gedächtnis ab, wobei das Gesamtbild aus einem Puzzle aus Erfahrungen, Erzählungen, Literatur, Bildern, Medien oder Filmen konstruiert wird. Manche sind vertrauter, manche vielschichtiger oder detaillierter, und wieder andere sind eindimensional oder beruhen auf Klischees. Ein zentrales Moment ist jedoch, dass sie sich unterscheiden und in Bezug zu den jeweiligen Stadtgesellschaften gesetzt werden.

Städtische Eigenlogik

Stadt ist also nicht gleich Stadt, und mit den Assoziationen bzw. deren Auswirkungen setzt sich die Stadtsoziologie bereits lange auseinander. In den letzten Jahren erfuhr die Frage nach der Eigenlogik von Städten jedoch eine neue Dynamik. Es ist die Art und Weise, wie und warum eine Stadt das individuelle und soziale Verhalten beeinflusst, die im Rahmen der Eigenlogikforschungen interessiert. Dabei wird angenommen, dass latente Strukturen existieren, die sich in das Handeln und den Habitus der StadtbewohnerInnen einschreiben, und dass dies mit Raumproduktion, kulturellen Praktiken, Architektur, Stadtmarketing, Politik und Wirtschaft verwoben ist. Der Begriff der Eigenlogik verweist so auf eine distinktive Dynamik, die dafür verantwortlich ist, dass sich Städte nicht nur in Hinblick auf ihr Erscheinungsbild unterscheiden, sondern ein Ensemble von kohärentem Wissen, Strukturen und Ausdrucksformen bilden, durch das sich Städte in spezifische Sinnzusammenhänge verdichten (vgl. Berking 2008, Löw 2008a, Löw 2008b).

Gentrifizierung

Gentrifizierung bezeichnet die Aufwertung von innenstadtnahen Wohnvierteln, wodurch neben der ökonomischen Aufwertung Räume auch kulturell umgewertet werden. Gentrifizierung ist eine räumliche Manifestation von sozialer Ungleichheit und oszilliert zwischen „Zuzug“ und „Verdrängung“ von sozialen Gruppen (vgl. Lees et al. 2008). Neben direkten Verdrängungsprozessen kann es auch zur Verdrängung von Nutzungen spezifischer Infrastruktur und von sozialen Räumen kommen. Zudem gibt es auch Formen von ausschließender Verdrängung, wenn etwa Stadträume Exklusion signalisieren bzw. durchsetzen. Da Aufwertungsprozesse aufgrund der Rahmenbedingungen unterschiedlich verlaufen, werden auch Widerstandspraktiken angepasst. Daraus ergibt sich die diesem Beitrag zugrunde liegende These, dass die Aktivitäten, die KünstlerInnen den Aufwertungsprozessen entgegensetzen, Hinweise auf die Eigenlogik einer Stadt liefern.

Im Gentrifizierungsdiskurs werden KünstlerInnen als PionierInnen klassifiziert, die über wenig Ökonomisches, dafür aber über große Ressourcen an sozialem und kulturellem Kapital verfügen. Dies ermöglicht Raumaneignung und -nutzungen, wenn etwa marginalisierte Stadtviertel entdeckt und Flächen adaptiert werden. Sofern einkommensstärkere Schichten (GentrifierInnen) eine Nachfrage entwickeln, die durch die Medien verstärkt wird, erfolgen Investitionen, Mieten steigen, und die Infrastruktur passt sich den neuen Konsummustern an. Neben den alteingesessenen Haushalten sind dabei auch KünstlerInnen einem Verdrängungsdruck ausgesetzt, falls sich ihr ökonomischer Status nicht parallel zur Aufwertung verbessert (vgl. Huber 2011; Zukin 1982).

Anhand von drei Beispielen werden diese Prozesse im Folgenden skizziert und die Unterschiede in Form von idealtypischen Gentrifizierungsmustern herausgearbeitet.

Gentrifizierung in Wien, Chicago und Mexiko Stadt

Der Aufwertungsprozess im Karmeliterviertel in Wien begann Anfang der 1990er Jahre. Während dieser Zeit zogen die ersten KünstlerInnen zu, wobei vor allem die günstigen Mieten in Kombination mit Standortvorteilen sowie die Vielfalt an sozialen Realitäten, die ein anregendes Umfeld darstellten, ausschlaggebend waren. Parallel zur baulichen Erneuerung entwickelte sich eine neue Lokalszene am und um den Markt. Dadurch veränderte sich das Image des Viertels, und aufgrund der steigenden Nachfrage seitens der GentrifierInnen stiegen schließlich die Preise für Wohnraum. Direkte Verdrängung fand aufgrund von Regulierungsmechanismen auf städtischer Ebene dennoch nicht in signifikantem Ausmaß statt. Aufgrund der Popularität des Viertels wurde es aber kulturell und infrastrukturell umdefiniert, da neue Lokale einige jener Gastronomiebetriebe ersetzten, die als Treffpunkte der „alteingesessenen“ BewohnerInnen dienten. Somit kann von einem Gentrifizierungsprozess gesprochen werden, der sich in der Verdrängung von Nutzungen und damit von sozialen Räumen einkommensschwächerer Gruppen manifestiert. Diese Umwertung führte zudem zu einer neuen Form kultureller Hegemonie, der, abgesehen von der Problematik der Auflösung sozialer Netzwerke, diese Milieus auch aus der öffentlichen Sphäre verdrängte. Das vormals heterogene Umfeld wurde so im Sinne einer „verdeckten und schleichenden Gentrifizierung“ homogenisiert.

Das Viertel Wicker Park in Chicago war ein marginalisiertes Stadtviertel, in das Ende der 1970er Jahre KünstlerInnen in leerstehende Fabriksgebäude bzw. günstige Häuser zogen, und auch eine neue MusikerInnengeneration entdeckte das Viertel. Die erhöhte Aufmerksamkeit und der Imagewandel des Viertels basierten einerseits auf der Etablierung der Musikszene, andererseits trugen auch Galerien sowie Kunstfestivals und Atelierrundgänge dazu bei, die Popularität zu steigern und Wicker Park als trendiges Viertel zu positionieren. Gleichzeitig mit der steigenden Nachfrage seitens einkommensstärkerer Schichten wurde auch die Immobilienbranche veranlasst, im Viertel zu investieren. Der Anstieg der Mietpreise und die Transformation von Miet- zu Eigentumswohnungen führten schließlich zur Verdrängung der einkommensschwächeren Haushalte und der KünstlerInnen. Dieses Ablaufmuster kann im Sinne eines Idealtypus daher als „klassische Form der Gentrifizierung“ klassifiziert werden.

Das Stadtviertel La Condesa in Mexiko Stadt war ein wohlhabendes Viertel, bis 1985 ein Erdbeben einen Teil der Bausubstanz zerstörte und die ansässige Bevölkerung in andere Gebiete der Stadt abwanderte. KünstlerInnen nutzen die Gelegenheit und eröffneten (Wohn)Ateliers bzw. kleine Galerien, und es entwickelte sich, teilweise mit personellen Überschneidungen, eine florierende Lokalszene im Viertel. Diese hob sich von der traditionellen Gastronomie ab, indem sie u. a. erstmals den öffentlichen Raum vor den Lokalen inkorporierte. Bis Ende der 1990er Jahre kann zwar für die ökonomische und soziale Struktur des Viertels eine relativ ausgewogene Mischung diagnostiziert werden, doch die exponentielle Zunahme von teuren Lokalen und die steigende Nachfrage zogen schließlich Immobilieninvestitionen nach sich. Teile der alten (denkmalgeschützten) Bausubstanz wurden abgetragen und durch höhere Apartmenthäuser mit exklusiven Wohneinheiten ersetzt, um aus den kleinen Parzellen möglichst viel Profit zu generieren. Da im Zuge der Aufwertung direkte Verdrängung nur eine untergeordnete Rolle spielte, kann die Entwicklung von La Condesa als Beispiel für Gentrifizierung klassifiziert werden, die in erster Linie durch seine signifikante „Exklusionsorientierung“ charakterisiert ist. Der Raum ist in diesem Fall der mexikanischen Elite und wohlhabenden Einwanderern vorbehalten.

Diagnosen zu Kunst und Widerstand

Für das Karmeliterviertel kann diagnostiziert werden, dass der Widerstand gegen Gentrifizierung eher gering war. In der Vergangenheit gab es in Wien zwar Protestbewegungen von KünstlerInnen, wie etwa am Spittelberg im 7. Bezirk, doch wenn sich heute ein Viertel im Rahmen von Aufwertungsprozessen verändert, tendieren die PionierInnen eher zum Wegzug bzw. verzichten weitgehend auf die Verteidigung von angeeigneten Räumen. Dies hängt mit der Langsamkeit des Ablaufs zusammen und der dadurch eingeschränkten Visibilität. Das Potenzial für Konflikte ist relativ gering, und auch künstlerische Interventionen, die beispielsweise auf eine problematische soziale Situation aufmerksam machen sollen, werden in Wien trotz der Gefahr der politischen Vereinnahmung oftmals auf Basis von Kooperation mit der Stadt realisiert.

Der Aufwertungsprozess in Wicker Park hingegen führte zu zahlreichen Anti-Gentrification Aktionen und Widerstand. Viele der Aktionen gingen von KünstlerInnen aus, da einige der Gebäude, in denen Ateliers und Galerien untergebracht waren, zum Ziel von InvestorInnen wurden. Mit Hilfe von Interventionen im öffentlichen Raum wurde etwa auf die prekäre Situation der KünstlerInnen und die Praktiken der Immobilienindustrie aufmerksam gemacht – ebenso wie auf die zunehmende Kommerzialisierung des Viertels und den Verdrängungsdruck. Trotz dieser Aktionen konnten viele KünstlerInnen nicht in ihren (Wohn)Ateliers bleiben, und die Gebäude wurden parallel zur Aufwertung des gesamten Viertels in hochpreisige Lofts und Wohnungen konvertiert.

Aufgrund der Geschwindigkeit der Entwicklung, die teilweise durch Korruption begünstigt wurde, gestaltete sich der Widerstand gegen die Gentrifizierung in La Condesa gering, wobei dies auch in Zusammenhang mit der Naturkatastrophe gesehen werden muss, da als Folge der Anteil an Leerständen relativ hoch war. Darüber hinaus waren weniger erfolgreiche KünstlerInnen auf Arbeitsplätze in der Gastronomie angewiesen. Jene KünstlerInnen, die es sich leisten hätten können, die Entwicklung zu problematisieren, wanderten zudem bereits ab, bevor das Viertel den „Tipping Point“ erreicht hatte. Daher waren es in erster Linie alteingesessene, wohlhabende BewohnerInnen, die sich in Initiativen zur Rettung der alten Bausubstanz zusammenschlossen, wobei ihr Ziel weniger die Aufrechterhaltung von sozialer Heterogenität war und ist.

Schlussbetrachtung

Auf Basis der ausgeführten Unterschiedlichkeit der Gentrifizierungsprozesse sowie der vorhandenen bzw. fehlenden Widerstandsinitiativen können nun erste Rückschlüsse im Hinblick auf die Eigenlogiken der drei Städte gezogen werden.

Auf- und Umwertungsprozesse verlaufen in Wien relativ langsam, und die gesetzlichen Rahmenbedingungen federn die direkte Verdrängung ab, wobei problematische Konsequenzen, die aus Formen von indirekter Verdrängung resultieren, nicht thematisiert werden. Somit könnte der Grund für das mangelnde Problembewusstsein in der weitgehend fehlenden Sichtbarkeit des Prozesses liegen, weshalb diese Form der Gentrifizierung auch etwaigem Widerstand der PionierInnen keine offensichtlichen Ansatzpunkte bietet. Stellt man die Frage nach der politischen Motivation, könnte dies aber auch das Paradigma des konsensuellen Grundtenors widerspiegeln, durch den der latente Interessenskonflikt, der sich aus dem Abhängigkeitsverhältnis zwischen Stadt und KünstlerInnen ergibt, in Schach gehalten werden soll.

In Chicago unterliegen die Aufwertungsprozesse hingegen vergleichsweise wenigen Regulierungen, sodass sie dem klassischen Muster von Gentrifizierung entsprechen. Die Veränderungen sind dadurch sichtbar, und Gentrifizierung wird offen thematisiert sowie diskutiert. Raumaneignungen und Verteidigungsprozesse kanalisieren sich oftmals in künstlerischen Auseinandersetzungen, und dies verläuft in Chicago konfliktreich – trotz der auf lange Sicht geringen Erfolge, die durch die Korrelation von ökonomischen mit politischen Interessen bedingt sind.

In Mexiko Stadt sind die Möglichkeiten der Immobilienindustrie ebenfalls nur wenig eingeschränkt, wobei Korruption die Handlungsoptionen zusätzlich erweitert. Aufgrund der Geschwindigkeit und dem massiven Druck, mit dem exklusive Räume produziert werden, deren Basis das soziale Gefälle sowie die damit einhergehende Konzentration von Macht und finanziellen Ressourcen bilden, bleibt die Verteidigung von Räumen seitens der KünstlerInnen weitgehend aus. Dies steht somit mit den prekären Lebenslagen dieser Gruppe in Zusammenhang, weshalb sich in erster Linie wohlhabende Gruppen in Form von Bürgerinitiativen, die über ausreichend Ressourcen und Kontakte verfügen, gegen die (baulichen) Eingriffe wehren.

Rückschlüsse auf die Eigenlogiken von Städten können natürlich nicht ausschließlich auf Basis einer Analyse von Aufwertungsprozessen gezogen werden, ebenso wenig, wie ein einziger Begriff die Eigenlogik einer Stadt erfassen kann. Dennoch liefern Gentrifizierungsprozesse und die sich dagegen formierenden Widerstandspraktiken wertvolle Hinweise darauf, wie eine Stadt „tickt“.

Literatur

Berking, Helmuth (2008): Städte lassen sich an ihrem Gang erkennen wie Menschen – Skizzen zur Erforschung der Stadt und der Städte. In: Berking, Helmuth/Löw, Martina (Hrsg.): Die Eigenlogik der Städte. Frankfurt/New York, 15-31.

Huber, Florian J. (2011): Das kulturelle Kapital und die PionierInnen im Gentrifizierungsprozess. Forschungsansätze und Herausforderungen für die Stadtsoziologie. Erscheint in: Frey, Oliver/Koch, Florian (Hrsg.): Positionen zur Urbanistik. Wien.

Lees, Loretta/Slater, Tom/Wyly, Elvin (2008): Gentrification. New York/London.

Löw, Martina (2008a): Eigenlogische Strukturen – Differenzen zwischen Städten als konzeptuelle Herausforderung. In: Berking, Helmuth/Löw, Martina (Hrsg.): Die Eigenlogik der Städte. Frankfurt/New York, 33-53.

Löw, Martina (2008b): Soziologie der Städte. Frankfurt/M.

Zukin, Sharon (1982): Loft Living: Culture and Capital in Urban Change. Baltimore.

 

Florian Huber

ist Doktorand und Lehrbeauftragter am Institut für Soziologie der Universität Wien und spielt Bass in der Rockband Valina.